Woher kommt der Strom? Deutschland ist abgeschaltet.

Nachdem Tierrechtler gegen die Stromerzeugung mittels unseres Teddyhamsters Crecita protestierten, haben wir wieder auf Netzversorgung im Büro umgestellt. Daher nur ein Symbolbild: Ein Hamster-Kraftwerk. Deutschlands Zukunft? Th. Reinhardt / pixelio.de, Hamster im Rad

von Rüdiger Stobbe

Deutschland ist abgeschaltet. Nein, nicht der Strom. Das würde gerade noch fehlen. Gleichwohl belegt die 12. Analysewoche, dass sich Deutschland auch in Corona-Zeiten auf Strom verlässt, den es aus dem benachbarten Ausland importiert.

In diesem Zusammenhang eine Frage, die von einem interessierten Leser gestellt wurde:

Was hat die deutsche Stromwirtschaft an diesem, dem nächsten und so fort Tag verdient oder in den Sand gesetzt. In Euro will ich es wissen! Das selber aus obigen Angaben zu errechnen bin ich leider nicht imstande.

Lieber Leser, ich kann das auch nicht. Weil es diese eine Zahl nicht gibt. Stromhandel ist, auch wenn es in den Charts recht einfach aussieht, höchst komplex. Unabhängig von der physischen Bereitstellung des Stroms. Die Charts suggerieren, dass Stromhandel ausschließlich an der Börse (Abbildung) stattfindet. Das ist durchaus nicht der Fall. Das weitaus größere Handelsvolumen wird über den Tresen (OTC = Over The Counter) gehandelt (Abbildung 1). Da sind die Preise – der OTC-Handel ist bilateral, das heißt intransparent, die Marktteilnehmer handeln den Preis untereinander aus – nicht bekannt. Marktteilnehmer bedeutet, dass sehr viele Akteure Strom handeln. Es gibt also nicht DAS Deutschland, welches Strom kauft und verkauft. Deshalb gibt es auch keine Zahl, die Verlust oder Gewinn insgesamt ausweist. Gewinne und Verluste stellen sich praktisch für jeden Marktteilnehmer individuell dar. Dennoch: Die Börsenwerte liegen vor und sind ein wichtiger Anhaltspunkt für das Marktgeschehen. Deshalb fließen diese Daten in die Analyse ein.

Die 12. Analysewoche ist durch einen Windstrombuckel in der Wochenmitte gekennzeichnet. Vor und nach diesem Buckel ist die Windstromerzeugung minimal. Einmal „rettet“ der erzeugte Sonnenstrom die Gesamterzeugung. Doch die meiste Zeit weist Deutschland eine Stromunterdeckung auf. Nur am Sonntag ist viel zu viel Strom im Markt. Der wird – zum Teil mit Bonus – verschenkt. Das gleiche Spiel am darauffolgenden Wochenende. Der Strompreis geht gegen Null. An drei Tagen muss Strom per Saldo importiert werden.

Tabelle und Chart, welche mit den Zahlen der Energy-Charts erstellt wurden, belegen dies. Selbstverständlich wirkt sich der starke Import auch auf die Im-/Exportstatistiken (Woche 12Jahr 2020) aus. Hauptstromlieferant bleibt Frankreich, gefolgt von Dänemark, den Niederlanden und Schweden. Weshalb Stromimporte von unseren nördlichen Nachbarn? Wenn der Wind nicht weht, nutzen auch abertausende Windkraftanlagen in Norddeutschland so gut wie nichts. Kein Wind, kein Strom. Dafür braucht es kein Studium.

Doch manche Zeitgenossen, oder sind es gar viele, scheinen das nicht zu verstehen. Nun komme mir bitte keiner mit den „Speichern“. So viel Strom aus Speichern, wie bei einer mehrtägigen Dunkelflaute benötigt wird, so viel Speicher ist nicht annähernd zu realisieren (Abbildung 2). Der „Speicher“ Wasserstoff, der Traum unserer Energiewender, hört sich immer gut an, ist auch immer für irgendwelche Fördergelder gut, wird aber in absehbarer Zeit mit Sicherheit nicht in dem Umfang mit regenerativ erzeugtem Strom hergestellt werden können, wie es notwendig wäre. Denn „überschüssigen“ Wind- und/oder Sonnenstrom hat es in Deutschland und anderswo noch nie gegeben (Abbildung 3).

Die Tagesanalysen

Sonntag, 15.3.2020: Anteil erneuerbare Energieträger an der Gesamtstromerzeugung 70,21%, davon Windstrom 44,68%, Sonnenstrom 13,48%, Strom Biomasse/Wasserkraft 12,06%. Die Agora-Chartmatrix: Hier klicken.

Es ist viel zu viel Strom im Markt. Bis 8:00 Uhr kann noch etwas Ertrag erzielt werden. Dann wird der Strom mit Bonus verschenkt. Erst um 16:00 Uhr gleitet der Strompreis wieder in den positiven Bereich. 0,07 €/MWh werden erzielt. Um 22:00 Uhr werden gerade mal 30 €/MWh erreicht. Am meisten profitiert heute Dänemark. Kauft mit Bonus ein und verkauft ab 17:00 Uhr zu Preisen zwischen 17 und 30 €/MWh. Die konventionellen Stromerzeuger werfen ab 16:00 Uhr die Pumpspeicher an. Deren Strom kann den Import aus Dänemark und Schweden jedoch nur minimieren. Unter dem Strich wird aber Strom aus Deutschland exportiert.

Montag, 16.3.2020: Anteil erneuerbare Energieträger an der Gesamtstromerzeugung 44,70%, davon Windstrom 16,67%, Sonnenstrom 15,15%, Strom Biomasse/Wasserkraft 12,88%. Die Agora-Chartmatrix: Hier klicken.

Die Windstromerzeugung lässt im Verlauf des Tages massiv nach. Hilft über Tag noch die Sonnenstromerzeugung aus, ergeben sich am Vormittag und zum Abend Stromunterdeckungen, die Importe nötig machen. Es wundert nicht, dass zumindest um 19:00 Uhr ein Spitzenpreis gezahlt werden muss. Vor allem an die Schweiz und Frankreich. Lander, die über Tag Strom für unter 30 €/MWh eingekauft haben. Vor allem „überschüssigen“ Sonnenstrom? Nein, es ist konventioneller Strom, dessen Erzeugung über Tag hochgefahren wird. Am heutigen Tag importiert Deutschland etwas mehr Strom, als exportiert wird.

Dienstag, 17.3.2020: Anteil erneuerbare Energieträger an der Gesamtstromerzeugung 44,44%, davon Windstrom 22,22%, Sonnenstrom 9,63%, Strom Biomasse/Wasserkraft 12.59%. Die Agora-Chartmatrix: Hier klicken.

Die Windstromerzeugung steigt ganz langsam wieder an. Gleichwohl sind Stromimporte am Morgen und zum Abend unabdingbar. Obwohl Strom mit Pumpspeicherkraftwerken erzeugt wird, bleiben Lücken. Das Preisniveau ist insgesamt moderat.

Mittwoch, 18.3.2020: Anteil erneuerbare Energieträger an der Gesamtstromerzeugung 53,19%, davon Windstrom 28,37%, Sonnenstrom 12,77%, Strom Biomasse/Wasserkraft 12,06%. Die Agora-Chartmatrix: Hier klicken.

Heute um 6:00 Uhr ist der Höhepunkt des kleinen „Windstrombuckels“. Ab dann versiegt der Windstrom auf der ganzen Linie. Was ab 16:00 Uhr wieder Stromimporte nötig macht. Wieder vor allem aus der Schweiz und Frankreich. Länder, die neben Österreich vor 16:00 Uhr den Strom verhältnismäßig viel günstiger eingekauft haben. Von Deutschland.

Donnerstag, 19.3.2020: Anteil erneuerbare Energieträger an der Gesamtstromerzeugung 33,33%, davon Windstrom 5,83%, Sonnenstrom 13,33%, Strom Biomasse/Wasserkraft 14,17%. Die Agora-Chartmatrix: Hier klicken.

Die Windstromerzeugung geht gegen Null. Das wird im nächsten halben Jahr öfter der Fall sein. Frühlingsanfang steht bevor. Auch eine immer stärker werdende Sonnenstromerzeugung kann da nicht genügend Ausgleichsstrom liefern. Den ganzen Tag erzeugt Deutschland nicht genügend Strom, um den eigenen Bedarf zu decken. Auch wenn spekulative Gründe dahinterstehen mögen. Es ist in diesen (Corona-)Zeiten kein gutes Zeichen. Sogar aus Polen wird am frühen Morgen nennenswert Strom importiert. Ich befürchte, nein, ich behaupte, niemand hat mit solch einer massiven Windflaute gerechnet.

Freitag, 20.3.2020: Anteil erneuerbare Energieträger an der Gesamtstromerzeugung 44,26%, davon Windstrom 20,49%, Sonnenstrom 9,84%, Strom Biomasse/Wasserkraft 13,93%. Die Agora-Chartmatrix: Hier klicken  & Samstag, 21.3.2020: Anteil Erneuerbare an der Gesamtstromerzeugung 72,39%, davon Windstrom 51,49%, Sonnenstrom 7,46%, Strom Biomasse/Wasserkraft 13,43%. Die Agora-Chartmatrix: Hier klicken.

Langsam, ganz langsam, ab Mittag immer mehr zieht die Windstromerzeugung an. Strom wird praktisch nur noch nach Österreich und nach Polen exportiert, Länder, die vom Strom aus Deutschland übrigens auch abhängig sind, die mit Strom aus Deutschland in gewissem Umfang für den eigenen Bedarf kalkulieren. Der Preis, der für den Import gezahlt werden muss, liegt unter 40,- €/MWh. Ab 20:00 Uhr gibt es keine Stromunterdeckung mehr. Zum Wochenende steigt die Windstromerzeugung immer mehr an. Die konventionelle Stromerzeugung wird rapide zurückgefahren. Dennoch ist ab Samstag, 0:00 Uhr zu viel Strom im Markt. Die Preise sinken unter 20,- €/MWh und erreichen um 14:00 Uhr mit 0,39 €/MWh den Tiefpunkt des Tages.

Ordnen Sie Deutschlands CO2-Ausstoß in den Weltmaßstab ein. Zum interaktiven CO2-Rechner: Hier klicken. Noch Fragen?

Ergänzungen? Fehler entdeckt? Bitte Leserpost schreiben! Oder direkt an mich persönlich: stromwoher@mediagnose.de. Alle Berechnungen und Schätzungen durch Rüdiger Stobbe nach bestem Wissen und Gewissen, aber ohne Gewähr. Die bisherigen Artikel der Kolumne Woher kommt der Strom? mit jeweils einer kurzen Inhaltserläuterung finden Sie hier.

Zuerst erschienen bei der Achse des Guten; mit freundlicher Genehmigung.

Rüdiger Stobbe betreibt seit vier Jahren den Politikblog  www.mediagnose.de

 

 

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13 Kommentare

  1. @ Siegfried Jäger, Hugo Rostami: Was Sie schreiben ist ja gut und richtig. Doch was nutzen all´diese Werte, wenn zum Beispiel vom 22.1. bis 26.1.2020 nur sehr wenig Strom regenerativ erzeugt wurden? Schauen Sie sich diese Animation an: http://www.mediagnose.de/wp-content/uploads/2019/04/Agora_22012020_bis_26012020_05-04-_2020_12-01-07.mp4
    Auch bei einer theoretischen Verdoppelung der installierten Leistung der Erneuerbaren müsste noch sehr viel Strom konventionell hinzu erzeugt werden, um den Bedarf Deutschlands zu decken.

    • „Auch bei einer theoretischen Verdoppelung der installierten Leistung der Erneuerbaren müsste noch sehr viel Strom konventionell hinzu erzeugt werden, um den Bedarf Deutschlands zu decken.“

      Aber nur an wenige Tage im Jahr.
      Bei einer Verdoppelung der installierten Leistung der erneuerbaren sind jede Menge am tagen vorhanden wo der Stromverbrauch zu 100% von den erneuerbaren abgedeckt wird.
      Die konventionell habe doch bereits mit dem EEG von 2000 die Aufgabe bekommen die „Stromlücken“ der erneuerbaren zu füllen.

      Die konventionell werden nicht „sehr viel Strom konventionell hinzu erzeugt“ bei einer Verdoppelung der installierten Leistung der erneuerbaren.
      Bei 600TWh gesamt werden noch 100 bis 150TWh von den konventionell hinzu erzeugt werden im Jahr.

      • Selbst tageweise Durchschnittsrechnungen ergeben kein stimmiges Bild. Die Erzeugung folgt der Last. Jede Sekunde. Jeden Bruchteil einer Sekunde.
        Ist das für Labertaschen nicht zu begreifen?

    • Rüdiger Stobbe: „Doch was nutzen all´diese Werte, wenn zum Beispiel vom 22.1. bis 26.1.2020 nur sehr wenig Strom regenerativ erzeugt wurden?“

      Vom 22.1. bis 26.1.2020 hat Deutschland an jeden Tag und das durchgehend Strom in das Ausland exportiert, in der Sitze -9,3GW (24.01.2020 14:15 Uhr).
      Da wurden über 11% vom in Deutschland hergestellt Stroms in das Ausland verkauft, für ca. 4,5 Cent/kWh.
      Auch wenn die erneuerbaren sehr wenig Strom regenerativ erzeugen haben wir genügend an Strom, an Kraftwerksleistung.

  2. Ab Jahresbeginn sind 96 Tage vergaben und an 57 tagen hatten wir über 50% der täglichen Strommenge von den erneuerbaren, eine Super Bilanz.

    Noch vor 10 Jahren errichten wir die 50% am Tag kein einziges mal.

    Auch die 70% haben wir bereits 15 mal in 2020 geknackt bis zum 5.4.2020.

    • „Noch vor 10 Jahren errichten wir die 50% am Tag kein einziges mal.“

      Jo!
      Da war der Strom auch noch billiger…

      • besso keks: „Da war der Strom auch noch billiger…“

        Vor 10 Jahren sind die meisten Sachen auch billiger gewesen als heute.

  3. Heureka, Jubelstürme in den ZDF-Nachrichten: Christian Sievers durfte es stolzgeschwellt verkünden! Die Alternativen erzeugen erstmalig mehr als 50 % des germanischen Stroms!!!
    Ich habe es gehört und es geht gleich rein ins Gehirn und auch ins Herz! Was hat der Hofreiter wohl an diesem Abend gefeiert und getrunken?
    Von Preisen reden wir lieber nicht!

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