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Die bevor­stehende Energie­sicherheits-Krise der NATO

Russlands Politik bzgl. Energiesicherheit

Der Westen hat sich dazu entschlossen, warnende Anzeichen nicht zu beachten, welche vor dem Vorfall in der Kerch Strait auftauchten. Eine grundlegende Warnung erfolgte im Frühjahr 2018, als Russland Teile der Ostsee für eine Feuerprobe der Navy gesperrt hatte. Dies beeinträchtigte den Luft- und Schiffsverkehr im Gebiet der Ostsee. Noch wichtiger aber war, dass die Übung absichtlich auf der geplanten Route von Nord Stream 2 stattfinden sollte. Diese Pipeline, so sie je vollendet wird, würde zu einem Eckpfeiler der Energie-Infrastruktur werden. Hinsichtlich Kapazität würde sie die Nord Stream 1-Pipeline ergänzen. Das Volumen beider Pipelines zusammen würde es Russland ermöglichen, insgesamt 110 Milliarden Kubikmeter Gas unter der Ostsee direkt in das Zentrum des deutschen Gasmarktes zu pumpen. Noch wichtiger ist, dass Nord Stream 2 es Russland gestatten würde, Gaslieferungen für andere europäische Verbraucher umzuleiten, wohin es heute noch durch Pipelines via der Ukraine strömt. Dies hätte nachteilige Auswirkungen auf die Wirtschaft der Ukraine. Transit-Gebühren und Abgaben Russlands für die Durchleitung durch das Staatsgebiet der Ukraine verschafften Kiew Einnahmen in Höhe von etwa 3 Milliarden Dollar pro Jahr. Nur zum Vergleich: Die Ausgaben für das Militär in der Ukraine beliefen sich auf insgesamt 3,6 Milliarden Dollar.

Nord Stream 2 würde es Russland auch gestatten, seinen Griff auf den europäischen Gasmarkt neu zu beleben. Zeit ist der Schlüssel in diesem Spiel, durchläuft doch der globale Gasmarkt derzeit strukturelle Änderungen. Dank der Schiefergas-Revolution haben die USA Russland bereits als den weltgrößten Gas-Erzeuger überflügelt. Gas ist ein immer stärker gehandeltes Gut dank der rapiden Entwicklung von Flüssiggas-Terminals (LNG). Im Gegensatz zur allgemeinen Ansicht hat das Jahr 2018 gezeigt, dass amerikanisches Flüssiggas durchaus wettbewerbsmäßig gegen russisches Gas nach Europa bestehen kann. Tatsächlich hat Polen im vorigen Jahr drei langfristige Verträge für die Lieferung amerikanischen Flüssiggases abgeschlossen.

Russland muss seinen Kampf gegen neue Versorger und Infrastruktur-Projekte verstärken, welche dessen Stellung unterminieren könnten. Um dieses Ziel zu erreichen und seine außenpolitische Agenda voranzutreiben, stützt sich Moskau auf drei grundlegende Pfeiler.

Erstens, man muss gegen Propaganda und Falschinformationen vorgehen. Die jüngsten mitteleuropäischen Bemühungen zur Diversifizierung riefen heftige Kritik in Medienportalen und sozialen Medien-Kanälen hervor, welche von Moskau gesponsert werden. Und das, obwohl diese Diversifizierung voll mit den Zielen der Energie-Union der EU vereinbar ist. Man versuchte zu kolportieren, dass LNG-Lieferungen nach Europa sich nicht rechnen würden. Derartige Behauptungen wurden von Vielen verworfen, darunter Piotr Woźniak, Direktor der Polish Oil and Gas Company. In vielen Verlautbarungen unterstrich er, dass Preis-Vereinbarungen von LNG aus den USA dieses Gas um 20 bis 30 Prozent billiger machen als russisches Gas, das via Weißrussland nach Polen strömt.

Zweitens, die Anwendung des „Opera Pricing“-Verfahrens – je näher man sich befindet, desto mehr zahlt man. Tatsächlich ist es so, dass Länder, die traditionell gute politische Beziehungen zu Russland pflegen, relativ niedrige Preise für ihre Gasimporte zahlen, während jene mit anderen politischen Präferenzen höhere Preise zahlen müssen. Heute steht hierbei die Ukraine im Mittelpunkt. Während der Amtszeit von Präsident Janukowitsch, stellte Gazprom 268,5 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter in Rechnung, heute zahlt die Ukraine 485 US-Dollar für die gleiche Menge, das ist eine Steigerung um über 80%.

Und schließlich ist da noch die Einbeziehung der Energiepolitik in Russlands breiter gefasste Hybrid-Kriegführung. Bzgl. Gas verlässt sich Russland darauf, Länder einzuschüchtern, welche übermäßig abhängig sind von russischen Lieferungen, hauptsächlich durch Kürzung der Lieferungen. Russlands Aktivitäten im Energiesektor sind gekennzeichnet durch Cyber-Angriffe. Seit dem Jahr 2014 hat Russland die Ukraine zu einem Testfeld gemacht für offensive Cyber-Aktivitäten. Grundlegende Energie-Infrastrukturen wurden zur primären Zielscheibe. Die Kontrolle über Stromsysteme und Kernkraftwerke erlaubt es Hackern, die Stromversorgung der Ukraine zu kappen. Die in der Ukraine ausprobierten Verfahren werden später auf Einrichtungen der Alliierten übertragen. Anfang 2018 warfen die USA Russland vor, eine Reihe von Cyber-Attacken auf Kraftwerke und Netze auf dem Territorium der Alliierten in Europa und den USA vorgenommen zu haben.

Was kann die internationale Gemeinschaft tun?

Russlands aggressive Energiepolitik stellt ebenso wie die Bereitschaft zum Einsatz militärischer Mittel zum Schutz kritischer Infrastrukturen eine ernste Bedrohung der NATO, deren Alliierten und Partnern dar. Die NATO ist keine Energie-Organisation – und wird es auch nie sein. Aber dennoch können Entwicklungen im Bereich Energie bedeutende politische und Sicherheits-Implikationen aufweisen. Daher sollte man sich bei der NATO und deren engsten Alliierten drei Elemente überlegen.

Erstens und am Wichtigsten, man muss der Energiesicherheit bei politischen Konsultationen bei der NATO viel mehr Aufmerksamkeit widmen. Jene Diskussionen sollten dazu dienen, die Aufmerksamkeit auf Russlands Gebrauch von Energie als ein Druckmittel in dessen Außen- und Sicherheitspolitik zu erhöhen, vor allem an dessen östlicher [westlicher?] und südlicher Flanke. Die Diskussionen sollten auch helfen, Russlands Mythen und Propaganda bzgl. Energiesicherheit zu widerlegen. Eine Visite des Nordatlantischen Rates bei einem LNG-Terminal im Gebiet der Ostsee könnte hilfreich für das Erreichen beider Ziele sein. Außerdem sollte die NATO regelmäßig die Ukraine konsultieren, wenn es um Energiesicherheit geht. Dieses Thema sollte Eingang finden in die Arbeit der NATO-Ukraine-Plattform, um gegen die Hybrid-Kriegführung wirksam vorzugehen.

Julian Wieczorkiewicz is an expert in energy security. He currently works at the Permanent Delegation of the Republic of Poland to NATO. Prior to joining the Ministry of Foreign Affairs, he worked at the Centre for European Policy Studies, a leading Brussels-based think-thank, where he covered energy-related issues.

Dieser Beitrag stammt aus einem Rundbrief der GWPF. Der ganze Beitrag steht hier.

Übersetzt von Chris Frey EIKE




Die USA stecken wegen der Nord Stream 2-Pipeline in einem geopoli­tischen Durchein­ander

Heimische Investitionen, Innovation und eine boomende US-Wirtschaft haben es den USA ermöglicht, im Jahre 2009 zum größten Erdgas-Erzeuger der Welt aufzusteigen und „Russland zu überholen“. Im Jahre 2014 wurde dieser Status auch bzgl. „Petroleum-Kohlenwasserstoffe erreicht und Saudi-Arabien überholt“.

Nachdem der Kongress das 40-Jahre-Moratorium des Exports von Rohöl und Erdgas aus den USA aufgehoben hatte, kam es zu einer Explosion der Treibstoff-Exporte. Aber damit wurden die USA auch in das geopolitische Durcheinander befördert, welches die Deutschen angerichtet haben, als diese Russland gestatteten, die Kontrolle über die kontroverse Nord Stream 2-Pipeline (NS2) zu erlangen. Kritiker monieren, dass dies „den Einfluss Russlands in Europa verstärken und die Ukraine isolieren werde“. Es sei jetzt an der Zeit für die Deutschen, „in den Spiegel zu schauen“ und sich zu fragen, warum sie diese Aufwertung russischer Energie zugelassen haben, während doch ihr Militär, ihre Außenpolitik und die Merkel-Regierung vor den Augen der Welt zerfällt.

Während Deutschland dies als ein kommerzielles Projekt ansehen mag, haben sich die USA mit Polen abgestimmt und versuchen, die Deutschen in eine gemeinsame Nachfrage zu zwingen, falls sich das Projekt jemals materialisieren sollte. Zu diesem „ungewöhnliche Vorstoß“ in die europäische und deutsche Energiepolitik war es gekommen, nachdem die Deutschen die schwächelnde Ukraine gefördert haben, während sie gleichzeitig die NATO mit dem Kauf von zusätzlichen 55 Milliarden Kubikmeter russischen Gazprom-Gases über die Interessen der USA und von Brüssel hinweg kauften. Diese wollten den russischen Einfluss auf die Energiesicherheit in Europa von diesem Kontinent fernhalten.

Der Ärger Washingtons, angeführt von Präsident Trump, ließ seine Regierung Sanktionen gegen Deutschland in Erwägung ziehen und ein Handelsabkommen zwischen den USA und Europa auf Eis legen, bis die Deutschen und andere europäische Unterstützer das Projekt Nord Stream 2 fallen lassen. Zusätzliche Sorgenfalten auf die Stirnen in Washington und bei der NATO brachten jüngste russische Vorstöße in Griechenland, was Mazedonien auf dem linken Fuß erwischt hat. Russlands Außenminister hat kürzlich eine Reise nach Griechenland abgesagt:

„Angesichts eskalierender Spannungen zwischen beiden Ländern wegen einer Entscheidung Athens, zwei Diplomaten auszuweisen, weil diese angeblich versucht hätten, gegen ein Abkommen zu opponieren, welches ,den Weg für Mazedonien freimachen würde, der NATO beizutreten‚“.

Dies hat Trump den Schub verliehen, zur Bestürzung von Deutschland und Europa gegen NS2 vorzugehen. Damit wollte er die Konsequenzen einer verstärkten russischen Einmischung in europäische Angelegenheiten zurückdrängen. Sie wollen einfach das Erdgas, sind doch die Energiepreise in Deutschland – wegen des immer weiter zunehmenden Verbrauchs erneuerbarer Energie – die höchsten in Europa und weltweit in einem industrialisierten Land. NS2 teilt Europa, während es der Kontinent schon jetzt mit zunehmendem Nationalismus, einer inkohärenten Einwanderungspolitik und einem Auseinanderdriften wohlhabenderer nordeuropäischer Länder von den ärmeren südlichen Ländern der EU zu tun hat.

Unglücklicherweise hat die EU nicht beachtet, dass Russland sein Erdgas zunehmend als Waffe in der Außenpolitik benutzt mittels eines „Würgegriffes von Gazprom auf den Gasmarkt in Europa“. Die USA wollen, dass sich die gesamte EU und die europäische Hemisphäre von Erdgas aus den USA abhängig machen oder auch von Quellen aus dem Nahen Osten außer Iran – aber anstatt sich zu diversifizieren hat Europa zugelassen, dass „russische Erdgasexporte nach Europa im Jahre 2017 einen Rekord von 155 m³ erreichten“. Zuvor hatte Russland seine Energiequellen als Waffe gegen Polen, die Tschechoslowakei, die Ukraine, Lettland und Estland eingesetzt, indem Lieferungen zurückgehalten sowie Preise und Verträge manipuliert worden waren. Putin glaubt, dass dies Puffer gegen eine Invasion sind wie einst unter Napoleon und Hitler.

Polens Erdgasversorgung in kalten Wintermonaten wurde kontrolliert von der Yamal Europa-Pipeline von Gazprom; und die Ukraine war Schauplatz einer kriegsähnlichen Offensive von Gazprom durch eine Manipulation der Energiemärkte, welche über ein Jahrzehnt dauerte. Man kann darüber streiten, ob Gazprom und Rosneft ein Monopol haben in der EU und den früheren sowjetischen Satellitenstaaten hinsichtlich Energieversorgung und wirtschaftlichem Wachstum. Darum ist die Trump-Regierung so besorgt hinsichtlich der Kontrolle des Kreml über die NATO und die wirtschaftliche Unversehrtheit der EU, und auch hinsichtlich der Mischung dieser Kontrolle mit dem Erpressungspotential russischer Energiequellen auf die Geopolitik.

Einschneidende russische Maßnahmen haben Nachbarländer außerhalb des Einflusses Deutschlands dazu gebracht, ihre Energieversorgung zu diversifizieren und sich mit den USA wie nie zuvor abzustimmen. Mit einem beispiellosen Vorstoß, um dem russischen Einfluss und der deutschen Unentschlossenheit bzgl. NS2 zu begegnen, „wünscht Polen sich eine permanente Militärbasis in seinem Land mit der Bezeichnung ,Fort Trump’“. Die Slowakei, Polen und die Tschechische Republik haben ebenfalls Probleme mit NS2, weil damit Erdgas direkt nach Deutschland geliefert werden kann ohne Durchfluss durch ihre Länder:

„Das bedeutet, dass Russland separat Gaslieferungen an diese Länder manipulieren kann, ohne sich Sorgen hinsichtlich der Konsequenzen für den größeren deutschen Markt machen zu müssen“. Die Zukunft wird wahrscheinlich geopolitisch, ökonomisch und mit Sicherheit bzgl. Energie immer engere Bindungen zwischen Polen und den USA bringen.

Die USA und Polen sind die größten Hürden für die Akzeptanz der Realität von NS2 über Deutschlands Einwände hinweg. Die USA will osteuropäische Länder stärker sehen, und es ist keine Überraschung, dass derzeit „in Norwegen die größten NATO-Manöver seit dem Ende des Kalten Krieges im Gange sind. Damit soll Russland klargemacht werden, dass die Allianz vereint steht“. Polen und die Staaten des Baltikums werden sich nicht einfach zurücklehnen und zulassen, dass NS2 oder russische Energie-Interessen, gestützt durch dessen militärische Macht, die Zukunft diktieren. In den USA wurde auch ein Gesetz erlassen*, um jedwede auswärtige Firma zu sanktionieren, welche in russische Export-Pipelines investiert, einschließlich deren Bau. Dies schließt NS2 und möglicherweise die türkische Pipeline (Turk Stream) ein. Damit schlagen Washington, Warschau, Kiew und – wenn auch zögerlich – die NATO und die EU härtere Töne gegenüber Moskau und Ankara an.

[*Das Countering America’s Adversaries Through Sanctions Act of 2017]

Berlin macht jedoch geltend, dass NS2 keine direkten geopolitischen Konsequenzen mit sich bringen werde, und dreigleisige Verfahren der europäischen Energie-Gemeinschaft* sorgen dafür, dass Gazprom, Rosneft oder der Kreml keine Vorteile aus NS2 zieht. Die Schwierigkeit zu verstehen, wie eine funktionierende Politik, die besten Verfahren Europas und regulatorische Übersicht Putin aufhalten werden, seine Agenda voranzutreiben, sind Gründe, warum die EU ihre Haltung zu NS2 überdenken muss. Länder östlich von Deutschland, die durch russische Aggressionen Jahrhunderte lang terrorisiert worden waren, streben nach einem stärkeren Engagement der USA und vergrößern ihre eigenen militärischen Einrichtungen, möglicherweise auch mit atomaren Arsenalen. NS2 hat also gefährliche geopolitische, ökonomische und die globale Stabilität betreffende Auswirkungen, welche die Deutschen nicht in Erwägung ziehen.

[*European Energy Community’s three-pronged strategy]

Berlin hat jetzt gegenüber Washington bzgl. Pipeline-Politik und Energie-Diplomatie unter Berücksichtigung von NS2 und Moskau nur die Wahl, entweder Trump zu kompromittieren – was nicht wahrscheinlich ist – oder sich mit Washington, Polen und den meisten Baltischen Staaten abzustimmen. Handelsabkommen und angedrohte Sanktionen der USA werden involviert, um die NS2-Problematik zu lösen, welche Deutschland und die EU an vorderste Front geschoben haben. Russland wird seine Macht, seinen Einfluss, die Versorgung und geopolitische Vorteile missbrauchen, welche das Land durch NS2 und Turk Stream hat, egal mit welchen Konsequenzen. Es ist jetzt an der Zeit für die EU, die NATO und die Trump-Regierung, eine Entscheidung größerer Tragweite zu treffen: Beendigung der russischen Energie-Aggression und der größten Bedrohung der Stabilität der EU entgegenzutreten, welche von NS2 seit dem Ende des Kalten Krieges ausgeht.

Link: http://www.cfact.org/2018/10/25/the-u-s-is-in-a-geopolitical-mess-over-the-nordstream-2-pipeline/

Übersetzt von Chris Frey EIKE