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Umweltschutz auf den Meeren

Der Schadstoff Schwefel

Wenn Schwefel verbrannt wird, entsteht Schwefeldioxid (SO2) und Schwefeltrioxid (SO3). In Verbindung mit Wasser bildet sich daraus Schwefelsäure (H2 SO4). Im grünen Deutschland einst – unter dem Kampfbegriff „Waldsterben“ – sehr populär. Im Zusammenhang mit Dieselmotoren soll besonders SO3 eine herausragende Rolle spielen: Es gilt als ein wesentlicher Verursacher des Dieselrußes. Der Vorläufer des aktuellen Aufregers Stickoxide im Kampf gegen den Verbrennungsmotor.

Wenn Abgase den Schornstein verlassen, beginnen sie sich unmittelbar zu verdünnen. Eine nicht zu vernachlässigende Tatsache, insbesondere auf Hoher See. Dort werden sie vom Regen ausgewaschen und stellen kein Problem für die Meeres Flora und Fauna dar. Anders verhält es sich in Küstennähe und auf Flüssen oder in Hafenstädten. Dort können die Abgase zumindest für einige Menschen lästig sein.

Die Entwicklung der Grenzwerte

Besonders in der Bucht von Tokio, in den Häfen der Westküste der USA und in Nord- und Ostsee begann man deshalb Emission Control Areas (ECA) zu definieren. In solchen Gebieten durfte ab July 2010 nur noch Treibstoff mit einem maximalen Gehalt von 1% Schwefel verwendet werden. Dieser Grenzwert wurde ab Januar 2015 weiter auf 0,1% verschärft. Hat man erst einmal einen Schadstoff gefunden, kann man die Grenzwerte immer weiter verschärfen. Wer will schon auf Gremien, Kongresse und Dienstreisen verzichten?

Der nächste Schritt ist dann, die gesamte Erde zu beglücken. So hat die International Maritime Organization (IMO) – müßig zu erwähnen, eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen (UN) – schon im Januar 2012 den Schwefelgehalt weltweit auf 3,5% (ehemals 4,5%) begrenzt. Vorsichtshalber hat man gleich beschlossen, daß ab Januar 2020 nur noch ein Grenzwert von 0,5% Schwefel für Schiffstreibstoffe zulässig ist. Ein echter Kostentreiber: Bisher war es üblich, einerseits HSFO (high-sulfur fuel oil mit 3,5% Schwefel) für das offene Meer zu tanken und andererseits schwefelarmen Treibstoff für die ECA-Zonen. Nach dem Verlassen der Küstengewässer wurde umgeschaltet. Zumindest im Sinne von Menschenschutz ein sinnvolles Vorgehen zu optimalen Kosten.

Wohin die Reise geht, kann man schon an den Grenzwerten für Benzin und Dieselkraftstoff nach DIN EN 590 erkennen. Hier sind nur noch 0,001% Schwefel zulässig. Bei den Kraftfahrzeugen mit Abgaskatalysator (nächster Schritt im Schiffsbetrieb?) eine technische Notwendigkeit. Für unser Heizöl Extra Leicht schwefelarm (HEL) sind noch 0,005% Schwefelgehalt zulässig. Hier ist es das Kondensat aus den Brennwertkesseln und die Kanalisation. Lediglich die Luftfahrt scheint noch ein wenig widerspenstig. Für deren Triebwerke gilt ein Grenzwert von 0,03% Schwefel für Jet A1.

Das Rohöl und seine Verarbeitung

Erdöl ist ein Naturprodukt und unterliegt damit großen Schwankungen in seiner Zusammensetzung. Im Handel unterscheidet man leichte (light crude oil) und schwere Rohöle (heavy crude oil), sowie den Schwefelgehalt (sweet oder sour crude oil). Raffinerien müssen sich entsprechend ihrer Verfahrenstechnik und ihrer Kundenwünsche das geeignete Rohöl zusammenkaufen. Der Preis stellt sich am Weltmarkt nach Angebot und Nachfrage ein. Von der Tendenz her, sind dünnflüssige und schwefelarme Rohöle teurer.

Der erste – und in vielen Ländern auch der einzige – Verfahrensschritt ist die Destillation. Das Rohöl wird auf etwa 400 °C erhitzt und in eine Kolonne eingespeist. Dort verdampft es teilweise und kondensiert bei unterschiedlichen Temperaturen in verschiedenen Stufen. Die leicht flüchtigen Anteile (Benzin, Kerosin, leichtes Heizöl etc.) werden so abgetrennt. Es verbleibt ein zähflüssiges Rückstandsöl (residual fuel oil oder resid) mit fast dem gesamten Schwefel. Täglich fallen davon etwa 8 Millionen barrel weltweit an. Bisher wurden davon rund die Hälfte als Schiffstreibstoff verwendet. Die andere Hälfte wird weiter verarbeitet (z. B. Asphalt), mit großem Aufwand weiter zerlegt oder in Kraftwerken verfeuert.

Schon an dieser Stelle erkennt man, daß der derzeitige Verbrauch von etwa 3,2 Millionen barrel HSB (high-sulfur bunker mit 3,5% Schwefel) pro Tag, kein Nischenprodukt ist. Jegliche Veränderung der Spezifikationen wirkt sich unmittelbar auf die Verarbeitung (Investitions- und Betriebskosten) und die Rohölpreise aus. Ob dies die UNO-Beamten überhaupt durchschaut haben oder gar für ihre politischen Interessen ausgenutzt haben, muß der geneigte Leser selbst entscheiden.

Klar ist, daß schon immer die edleren Produkte, wie z. B. Benzin und Kerosin das Geld bei einer Raffinerie bringen mußten. Das Rückstandsöl mußte meist unter dem Einstandspreis für Rohöl verkauft werden. Für alle ein gutes Geschäft: Benzin und Heizöl wurden nicht noch teurer und die Reeder konnten wegen geringer Treibstoffpreise niedrige Frachtraten anbieten.

Die Möglichkeiten

Auf die veränderten Grenzwerte zeichnen sich folgende Reaktionen ab:

  • Erwirken von Ausnahmegenehmigungen. Kann ein Schiff nicht genug schwefelarmen Treibstoff bekommen, kann es eine Sondergenehmigung für die Fahrt oder den Fahrtabschnitt erhalten.
  • Einbau von Rauchgaswäschen (Scrubber)
  • Umrüstung auf alternative Kraftstoffe (LNG, Methanol)
  • Blending (Mischung von Produkten mit unterschiedlichem Schwefelgehalt)
  • Nachrüstung von Raffinerien mit Cokern und Crackern, wodurch ein neues „Abfallprodukt“, der Petrolkoks, entsteht. Entsorgung nur zum Preis von Kesselkohle in Kohlekraftwerken möglich. Einbau zusätzlicher Entschwefelungsanlagen (Hydrodesulfurierung).
  • Veränderung des Rohöleinsatzes wodurch sich die weltweiten Handelsströme verschieben.
  • Erhöhung des Rohöleinsatzes, Steigerung des Eigenverbrauches der Raffinerien.

Ausnahmegenehmigung

Noch ist die Abwicklung von Ausnahmen noch nicht genau geregelt. Man geht aber davon aus, daß sie ähnlich der Gepflogenheiten in der 200-Meilenzone um die USA gehandhabt werden. Dort muß die Anzeige elektronisch vor Einlaufen über einen FONAR (electronic Fuel Oil Non-Availability Report or FONAR) angezeigt werden.

In Deutschland wird das sicherlich streng überwacht und mit drastischen Bußgeldern geahndet werden. Was allerdings in Rußland und Afrika passieren wird, kann man sich leicht vorstellen.

Rauchgaswäschen

Man kann die Abgase eines Schiffsdiesels – wie in einem modernen (schornsteinlosen) Kohlekraftwerk – waschen, bevor sie in den Auspuff geleitet werden. Allerdings mit gewissen Einschränkungen. Auf einem Schiff ist der Platz begrenzt. Man kann daher nicht eine so aufwendige Verfahrenstechnik, wie in einem Kraftwerk an Land einbauen. Die nächste Frage betrifft das Waschmittel. Man kann einfach Meerwasser verwenden, was aber bedeutet, man gibt nun die Schadstoffe konzentriert ab. Ob das eine Verbesserung gegenüber der Verdünnung im Fahrtwind ist, sei dahingestellt. Mit Sicherheit kann man die Abgase deshalb nicht in Häfen und Flüssen waschen. Will man auch dort waschen, braucht man einen geschlossenen Kreislauf wie in einem Kraftwerk. Bleibt dann aber die Frage der Entsorgung des Sondermülls.

Solch eine Rauchgasreinigung kostet je nach Schiff ca. 2 bis 5 Millionen US$ und erfordert einen zusätzlichen Betriebsaufwand. Bisher werden sie hauptsächlich in Kreuzfahrtschiffen eingebaut. Dort können sie den Passagieren ein besonders gutes Gefühl geben.

Alternative Kraftstoffe

Es gibt praktisch zwei Alternativen: Flüssiges Erdgas (LNG) und Methanol. Beide enthalten keinen Schwefel. In sog. Gas-Diesel-Motoren können sie problemlos verbrannt werden. Bei ihnen ist ein kleiner Anteil Diesel nur noch zur Zündung (1,5 bis 6%) erforderlich (d. h. der Diesel-Kreisprozess mit seinem guten Wirkungsgrad bleibt erhalten). Gleichwohl können sie auch stufenlos nur mit Diesel betrieben werden. Derzeit ist LNG der absolute Favorit (bei Neubauten) gegenüber Bunkeröl. Hinzu kommt eine „Zukunftssicherheit“. Auch die IMO bastelt bereits an CO2 Vorschriften und Abgaben. Erdgas setzt gegenüber Öl nur rund 75% CO2 frei. Allerdings ist das Volumen von LNG größer und es ist eine aufwendigere Technik mit Isoliertanks nötig (Lagertemperatur < -160°C). Der Platzbedarf ist rund doppelt so groß.

Inzwischen gibt es einen Weltmarkt und ganze Tankerflotten für LNG. Gleichwohl muß erst eine Infrastruktur aus dezentralen Lagern, Tankstellen in den Häfen, Bunkerbooten, Tanklastern usw. aufgebaut werden. An der Nordseeküste und im Ostseeraum (ECA-Zonen) ist man damit bereits weit vorangekommen. Hinzu kommt, daß LNG billig ist, jedenfalls weitaus billiger als entschwefelter Kraftstoff.

Blending

Zumindest in den ersten Jahren wird das Mischen von unterschiedlichen Ölen zu LSB ( low-sulfur bunker bis 0,5% S) gängige Praxis sein. Es gibt etliche Raffinerien, die für dünnflüssige und süße Rohöle gebaut sind. Diese liefern ein Rückstandsöl mit rund 1% Schwefelgehalt. Will man daraus LSB herstellen, benötigt man rund die gleiche Menge an Dieselkraftstoff bzw. Kerosin etc. Diese Nachfrage wird die Preise für Kraftstoffe und Flugzeugtreibstoff in die Höhe treiben.

Nachrüstung von Raffinerien

Rückstandsöle sind ein Abfallprodukt. Ihr Wert liegt deshalb meist deutlich unter dem Einstandspreis für Rohöl. Es gab deshalb schon immer Bestrebungen, Rückstandsöle in höherwertige Produkte umzuwandeln. Grundsätzlich gilt, je mehr Wasserstoff ein Öl enthält, um so geringer ist sein Siedepunkt. Man muß also dem Rückstandsöl Wasserstoff hinzufügen. Dies geschieht z. B. in einem Coker. Dort wird Rückstandsöl bei Temperaturen von über 500°C in wasserstoffreiche Leichtöle und Petrolkoks zerlegt. Der Wasserstoff wird also hierbei nur intern umgelagert. Schwefel und Schwermetalle verbleiben im Koks.

Man kann aber auch Wasserstoff von außen hinzuführen. Mit Wasserstoff gelingt auch eine Entschwefelung. Bei der Hydrodesulfurierung wird der im Öl enthaltene Schwefel erst in Schwefelwasserstoff und anschließend in elementaren Schwefel umgewandelt. Ein sehr energieintensives Verfahren. Zudem ist Wasserstoff recht teuer.

Es handelt sich um komplexe verfahrenstechnische Anlagen. Eine Nachrüstung einer Raffinerie dauert mehrere Jahre und kostet zig Milliarden. Es ist klar, daß sich diese Kosten in den Produkten widerspiegeln müssen.

Rohöleinsatz

Raffinerien sind meist für die Verarbeitung bestimmter Rohöle gebaut. Es ist aber schon immer üblich, Mischungen verschiedener Rohöle herzustellen, um ein synthetisches Rohöl zu erhalten. Dies ist ein Weg für einfachere Raffinerien sich den Gegebenheiten ab 2020 anzupassen. Man kann z. B. das Rückstandsöl einer Raffinerie, die Arab Light verarbeitet etwa hälftig mit Bakken Rohöl vermischen und erhält daraus ein Öl ähnlich Maya Crude. Dies ist ein typischer Weg für Raffinerien am Golf von Mexiko. Man kauft das Rückstandsöl billig am Weltmarkt ein, mischt es mit besonders leichtem Rohöl aus Dakota usw. (Fracking) und kann es in den entsprechenden Raffinerien verarbeiten.

Das Henne-Ei Problem

Die Verschärfung der Grenzwerte in einem Schritt, an einem Stichtag, hat eine enorme wirtschaftliche Herausforderung heraufbeschworen. Die Reeder können nur Wetten abschließen. Keiner kennt die zukünftige Preisdifferenz zwischen HFO (higher-sulfur heavy fuel oil) und (MGO) (low-sulfur marine distillates—marine gas oil) bzw. MDO (marine diesel oil). Genau dieser Wert entscheidet aber über die Amortisation für die Millionen-Investition pro Schiff und Wäscher. Ganz ähnliches gilt für die Preisdifferenz zu LNG. Der Einsatz von LNG dürfte sich nur für Schiffe rechnen, die überwiegend in den ECA-Zonen (nur 0,1% S) fahren. Es verwundert daher nicht, daß bis heute weniger als 1% der Handelsflotte mit über 50 000 Schiffen umgestellt ist.

Bei den Raffinerien sieht es nicht besser aus. Man geht davon aus, daß die Preise für HFO weiter fallen werden (auf ca. 60% der Rohöleinstandspreise). Gewinner sind im Moment Raffinerien, die bereits über Coker und Hydrodesulfurierung verfügen. Sie können doppelt von den fallenden Preisen für HFO und den steigenden Preisen für schwefelarme Öle profitieren. Gerade für kleine Raffinerien ist das Investitionsrisiko in Milliardenprojekte viel zu groß. Außerdem werden die Preisdifferenzen um so kleiner, je mehr Raffinerien umstellen.

Wie gewaltig die Verschiebungen sein werden, zeigen die Bilanzen aus 2012: Es wurden weltweit insgesamt 260 Millionen to Schiffstreibstoffe verbraucht. Davon waren 223 Millionen to HFO und lediglich 37 Millionen to MGO/MDO. Für 2020 schätzt man den Verbrauch auf 352 Millionen to. Die Verteilung ist noch unabsehbar. Man muß deshalb mindestens von Mitte 2019 bis 2020 von stark schwankenden Preisen für Mineralölprodukte ausgehen. Wie die Weltwirtschaft darauf reagiert, weiß keiner.

Konsequenzen

Dies ist wieder mal ein Beispiel für die Festlegung von Grenzwerten – die der Mehrheit der Bevölkerung gar nichts sagen – durch ferne und abgehobene Gremien. Ähnlich der Stickoxide durch die EU. Die Bombe ist erst geplatzt, als der Normalbürger von Fahrverboten betroffen war. Aktuell hat man gerade die Diskussion über „unverbindliche Empfehlungen“ der UNO auf einem ganz anderen Gebiet. Auch die IMO-Grenzwerte waren einst nicht bindend. Hier setzt die Kritik an den einschlägigen Industrieverbänden ein. In der Phantasiewelt der Linken, schreiben die Lobby-Verbände die Gesetze. In der Realität ist das mitnichten so. Sie stehen einer Mauer von – überwiegend ungebildeten, aber ideologisch gefestigten – Politikern, Bürokraten und Nicht-Regierungsorganisationen gegenüber. Allesamt Personen, die für die wirtschaftlichen Konsequenzen ihres Handelns in keiner Weise verantwortlich sind. Die meisten sind nicht einmal demokratisch legitimiert. Das Vehikel Umweltschutz hat sich inzwischen als eine Gefahr für alle Gesellschaften herausgebildet. Auf keinem Sektor sind so viele Scharlatane und Ideologen unterwegs. Mit der zunehmenden Abnahme naturwissenschaftlicher Kenntnisse in Deutschland wird eine notwendige Aufklärung über technisch-wirtschaftliche Abhängigkeiten immer schwieriger.

Der Beitrag erschien zuerst auf dem Blog des Autors hier




Waste-to-Power (W2P)

W2P beschreibt nichts anderes als die energetische Nutzung oder thermische Entsorgung von Müll der verschiedensten Art. Sollte Ihnen dieses Kürzel „W2P“ nun unbekannt vorkommen, so haben Sie völlig recht, denn ich habe den Begriff soeben erfunden. Allerdings erforderte es keine gesteigerte Kreativität, denn dieses hippe Neudeutsch ist für andere Wandlungsverfahren längst gebräuchlich: P2H, P2G, P2L. Diese Bezeichnungen stehen für vermeintlich zukunftsträchtige Anwendungen, sie durchweht der Hauch der glücklichen dekarbonisierten Welt von morgen. Da kommt „Waste-to-Power“ nicht mit, denn die schnöde Abfallverbrennung hat jahrhundertelange Tradition und aus grüner Sicht keine Perspektive, weil es künftig keinen zu entsorgenden Müll mehr geben soll, sondern nur noch Wertstoffe als Quelle neuer Produkte.

Zunächst praktizierte man Müllverbrennung als einfache Lösung eines Entsorgungsproblems ohne energetische Hintergedanken. Was unbrauchbar, aber im Weg war, wurde angehäuft und abgebrannt. Die Asche kam auf den Acker und gut. Später und mit zunehmenden Müllmengen sparte man sich das und entsorgte auf riesige Haufen vor den Siedlungen und Städten, dann wurden diese Berge aus optischen und Geruchsgründen abgedeckt und Deponien genannt. Es zeigten sich Spätfolgen, vor allem in den Wirkungen auf das Grundwasser. Seit 2005 gibt es in Deutschland ein Deponieverbot. Die Rezepte gegen die Müllberge lauten jetzt: Vermeiden, stoffliche Nutzung, thermische Verwertung und Ablagerung nur dann, wenn Umweltgefährdung ausgeschlossen ist.

Was tun?

Der Königsweg ist ohne Frage der geschlossene Stoffkreislauf. Sinnvoll gehört für bestimmte Verpackungstechniken ein Pfandsystem dazu. Unser Dosenpfand-Jürgen (ja, der mit der Kugel Eis auf der Stromrechnung) setzte 2003 in seiner Zeit als Umweltminister das Dosen- und Einwegpfandsystem um. Sein Vorgänger Töpfer hatte dies schon eingerührt. Es sollte ein deutlicher Schritt sein, die Wegwerfgesellschaft zu zähmen. Den Sound der gezogenen Lasche vor dem Resonanzkörper der mit Gerstensaft oder Cola beladenen Dose galt es dauerhaft zum Schweigen zu bringen. Die Weiche in Richtung des ökologischeren Mehrwegsystems schien gestellt. Zunächst brach die Menge der Einwegverpackungen wunschgemäß ein, um in den Folgejahren langsam aber stetig wieder anzuwachsen. Mit automatisierten Rücknahmesystemen der großen Handelsketten wurde das Einwegsystem der Getränkeindustrie wieder billiger als Mehrweg. Die PET-Einwegflasche (Polyethylenterephthalat, in Faserform Polyester genannt) wurde zur Gewinnerin beim Dosenpfand. Preisgünstig bei geringem Materialeinsatz und ideal recyclebar trug sie zum erneuten Absinken der Mehrwegquote bei. Schwere leere Glasflaschen müssen transportiert, gereinigt und neu etikettiert werden – PET-Flaschen nicht und an der gesunkenen Trinkkultur stört sich der Geiz-ist-geil-Kunde auch nicht. Er fragt: wenn schon Pfand, warum dann Mehrweg? So hat die Einwegquote inzwischen die des Mehrwegs wieder überholt.

Ökologisch am zuverlässigsten sind die deutschen Biertrinker bei der Glasflasche geblieben, lasst sie uns loben.

Auch der stofflichen Nutzung, also der Wiederverwertung des Restmülls sind wirtschaftliche Grenzen gesetzt. Aus Recyclinggranulat gepresste Gartenbänke kommen PR-mäßig gut, aber wirtschaftlich ist das auf Grund des hohen Trennaufwandes zumindest beim Haushalts- und Gewerbemüll und mangelnden Bedarfs so großer Mengen an Gartenbänken noch nicht. Die Deutschen sind vermutlich die eifrigsten Mülltrenner der Welt, dennoch war die bisherige Abfallpolitik nur eingeschränkt erfolgreich. Coffee-to-go-Becher (also „C2g“ – soeben erfunden!) führen zu neuen riesigen Abfallbergen, die noch nicht sinnvoll beherrscht werden. Auch die legendäre „Abwrackprämie“ für PKW von 2009 war entsorgungstechnisch und vor allem energiebilanziell eine falsche Entscheidung. Sie führte zur Vernichtung brauchbarer Güter und trieb mit künstlich erzeugter Nachfrage den Energiebedarf an.

Bevor wir aber kritisieren und unzufrieden werden, sollten wir uns vergegenwärtigen, dass wir im Grunde müllmäßig auf einer Insel der Glückseligen leben.

Seit den siebziger Jahren leidet die Region um Neapel am permanenten Müllnotstand, 1997 wurde die letzte Deponie wegen Überfüllung geschlossen. Der Widerstand der Bürger gegen neue Deponien und den Bau von Verbrennungsanlagen führte zu riesigen Müllbergen und illegalen Deponien.

Bella Italia

Die Mafia, in diesem Fall die Camorra, verdient prächtig an illegaler Mülllagerung und zwar an allen Fraktionen – Haus- und Gewerbemüll, Klinikmüll, Giftmüll, sogar radioaktive Abfälle wurden gegen Gebühr dubioser Auftraggeber in der Region verbuddelt. Man schätzt die illegal abgelagerte Müllmenge auf etwa 300.000 Tonnen.

Was sich auf den Straßen anhäuft, wird hin und wieder verbrannt, um Platz zu schaffen oder Protest zu zeigen. „Terra dei Fuochi“, „Land der Feuer“ heißt die Gegend nördlich von Neapel. Über theoretische Diskussionen zur Krebsgefahr durch Glyphosat können die Leute hier nur milde lächeln. Die Krebsrate in der Gegend ist mehr als dreimal so hoch wie im nationalen Durchschnitt. Die Feuer setzen ätzende Dioxinwolken frei, das Grundwasser ist verseucht, Schwermetalle und Gift sind im Erdreich versickert. Tomaten und Pfirsiche wachsen auf diesem Terrain und dies natürlich nicht zur Zierde. Forscher sprechen vom „Dreieck des Todes“ zwischen Neapel, der nördlich gelegenen Kleinstadt Caserta und Nola im Osten.

Einige Sonderzüge fuhren in deutsche Müllverbrennungsanlagen (MVA), was von deutschen Grünen heftig als Müllimport gegeißelt, aber von einem grünen italienischen Umweltminister maßgeblich mit verursacht wurde.

In Summe ist das Ganze nicht nur eine Schande für ein entwickeltes Industrieland wie Italien, auch die EU-Umweltbürokratie versagt seit Jahrzehnten auf der ganzen Linie. Sie bleibt ihrem Grundsatz treu, sich nicht um die wichtigen Sachen zu kümmern, sondern Selbstbestätigung in der Gängelung der Bürger zu finden wie im Vorschreiben von Beleuchtungsmitteln oder der Regulierung der Leistung von Staubsaugern. Auch eine 20 Millionen-Euro-Strafe, die der Europäische Gerichtshof verfügte, brachte natürlich keine Abhilfe. Ansonsten beherzigt die EU die „Omerta“ genannte Schweigepflicht der Camorra. Die US-Amerikaner gehen fürsorglicher mit ihren Bürgern um. Die in der Region Neapel stationierten US-Truppenangehörigen dürfen nicht außerhalb der Stützpunkte wohnen und der Teil der Lebensmittel, der nicht aus dem Ausland kommt sowie die Trinkwasserqualität werden akribisch überwacht.

In der Dritten Welt sind die Gefahren nicht nur durch die Gifte, sondern schon durch die riesigen Müllberge gegeben und es kann zur Katastrophe kommen, wenn wie in Sri Lanka ein 90 Meter hoher Müllberg ins Rutschen kommt.

Reinigendes Feuer

Damit es zu diesen gigantischen Ansammlungen von Müll nicht kommt, wäre die thermische Entsorgung in entsprechend ausgelegten Verbrennungsanlagen hilfreich. Sicherlich könnten auch Rotteverfahren helfen, die aber eine sehr korrekte Mülltrennung erforderlich machen und nur beim biogenen Anteil funktionieren.

In Deutschland verrichteten 2014 etwa 60 Müllverbrennungsanlagen und 35 Anlagen zur Verbrennung oder Mitverbrennung von Ersatzbrennstoff (EBS) ihre unattraktive aber nötige Tätigkeit. EBS wird durch Aufbereitung von Müll gewonnen, indem man heizwertreiche Fraktionen abtrennt und damit energetisch hochwertigen Brennstoff gewinnt. Holz-, Papier- und Stoffreste, biogene Anteile und Kunststoffe ergeben ein feuriges Gemisch, das selbst in Zementwerken einsetzbar ist. Unter den strengen Bedingungen der 17. Verordnung des Bundesimmissionsschutzgesetzes (BImschV) verbrennt der größte Teil von dem, was wir in grauer und gelber Tonne sammeln.

Gegenüber der Kohle-, Öl- oder Gasverbrennung verschärfte Emissionsgrenzwerte sichern die Umweltverträglichkeit. Die vorgeschriebenen Verbrennungstemperaturen oberhalb 850 Grad Celsius, bei halogenorganischen Stoffen sogar über 1.100 Grad zerstören Dioxin und andere Gifte. In den Angaben zum Energiemix erscheint die Energiegewinnung durch Müll mit einem relativ konstanten Anteil von etwa fünf Prozent meist unter der verschämten Bezeichnung „Sonstige“. Sollte sich dieser Anteil durch höhere Verwertungsquoten verringern, sinkt auch dieser Anteil konstanter und regelbarer, mithin systemstabilisierender Einspeisung.

Obwohl weitgehend Übereinstimmung besteht, dass wir von geschlossenen Stoffkreisläufen noch weit entfernt und moderne Verbrennungsanlagen umweltverträglich sind, bleiben Kampagnen gegen MVA bewährte Spielwiesen grüner Bürgerinitiativen. Sie treten zumeist als NIMBY-Anwohner („not-in-my-backyard“) auf und verfügen über bekanntes Kampfvokabular wie Dioxinschleuder, Menschenvergifter und ähnliches. Damit erreichen sie in großen Bevölkerungskreisen Ängste, die nur noch mit dem Neubau eines Atomkraftwerks neben dem Dorfanger zu toppen wären. Dabei wissen die Aktivisten sehr genau, dass hundertprozentige Müllverwertung nicht möglich ist und vergessen geflissentlich zu erwähnen, dass deponieren verboten und die so genannte „kalte Rotte“ durch Methanemission sehr „klimaschädlich“ ist.

Bürokratischer Müll

Um einem Anstieg der erheblichen Müllmenge in Deutschland (über 40 Millionen Tonnen pro Jahr) Einhalt zu gebieten, bastelt die Bundesregierung unterdessen an einer neuen Gewerbeabfallverordnung, die auch einige Details neu regelt, beispielsweise, was unter „Verpackung“ zu verstehen ist. Teebeutel, Wursthäute und Grablichtbecher gehören nicht dazu. Heftklammern und Dosierhilfen von Waschmitteln allerdings doch, wenn sie Teil des Verpackungsverschlusses sind. Bei Blumentöpfen ist zu differenzieren: Verbleibt die Pflanze Zeit ihres Lebens darin, ist es keine Verpackung, sonst schon. Das Verpackungsrecht tendiert in seiner Komplexität hin zum deutschen Steuerrecht, nur dass die entsprechende Beraterinfrastruktur noch fehlt. Deshalb wird die Einrichtung einer zentralen Stelle durch Industrie und Handel vorgesehen, um fairen Wettbewerb und konsequenten Vollzug als Registrierungs- und Standardisierungsstelle zu sichern. Wer diese Einrichtung wiederum kontrollieren soll, ist offen. Nicht dagegen die Finanzierung, die dem Verbraucher dann indirekt über die Preise auferlegt wird. Das ganze Verbürokratisierungsgesetz muss nicht durch den Bundesrat, was zumindest die Menge des Kommunikationsmülls reduziert.

Die Frage, wie künftig mit Gesetzes- und Verordnungsmüll (ganz zu schweigen vom Ideologiemüll) zu verfahren ist, bleibt offen. Verbrennung ist nur sehr eingeschränkt möglich, Kompostierung auch. Schließlich ist es die Existenzgrundlage einer vor allem sich selbst verwaltenden und wachsenden Ministerialbürokratie, die davon sehr auskömmlich lebt.

Die Italiener in Kampanien hätten gern diese Probleme . . .