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Erneute Frühjahrs­dürre in Deutsch­land – eine Ursachen­forschung

Eiskalte Frühlingsnächte 2020 und die CO2-Erwärmung – das passt nicht zusammen

Langschläfer nahmen seit Mitte März nur den herrlichsten Sonnenschein bei teilweiser Wärme im Windschatten wahr, sie bemerkten die oft bitterkalten Frühlingsnächte nicht. Wieder einmal erweist sich die Praxis als Kriterium der Wahrheit, denn auch die stark gestiegene CO2-Konzentration unserer Luft konnte diese Kälte nicht verhindern. Das verdeutlichen die Tiefstwerte der nicht im Kälteloch stehenden DWD-Station Erfurt/Weimar:

Abbildung 1: Temperatur-Minima am Flughafen Erfurt/Weimar vom 15.März bis zum 12.April 2020. Nach mäßigen Nachtfrösten in der letzten Märzdekade und zum Monatswechsel blieben auch die Aprilnächte empfindlich kühl mit Bodenfrösten. Bildquelle wetteronline.de, ergänzt.

In der glasklaren, knochentrockenen Subpolar- und Arktikluft fehlten Wasserdampf und Wolken als „Kälteschutz“. Aber was hat diese Kälte nun mit der Frühjahresdürre zu tun? Die schon recht trockenen Böden begünstigten eine starke Tageserwärmung; trotz der Nachtkälte wurden nicht selten 15 bis 22°C erreicht, was die relative Luftfeuchte auf teilweise wüstenhafte Werte von unter 30% sinken ließ; aufgehängte Wäsche trocknete in kaum 3 Stunden, und es wurde sogar vor Stromschlägen durch elektrostatische Aufladung gewarnt, was extrem trockene, saubere Luft erfordert; Näheres hier. Kälte und Dürre verzögerten auch die Vegetationsentwicklung: Betrug der phänologische Vorsprung wegen des milden Winters um den 20. März noch gute drei Wochen, so waren es um den 10. April nur noch wenige Tage; Forsythien und Osterglocken blühten rekordverdächtige 4 bis 6 Wochen lang!

Die langfristige Entwicklung der Frühjahresniederschläge

Die Daten für das deutsche Flächenmittel liegen seit 1881 vor. Sie bieten eine Überraschung, denn bis in die 1980er Jahre, und da war die CO2-Konzentration schon seit etwa einhundert Jahren gestiegen, wurden die Frühjahre (hier immer die Summe der Monate März bis Mai) merklich feuchter; eine Abnahme zeigt sich erst seit etwa 1990 – sie konnte den Langfristtrend bisher aber nicht umkehren:

Abbildung 2: Deutliche Zunahme der Frühlingsniederschläge in Deutschland seit 1881.

Betrachtet man die Einzelmonate langfristig, so wurden März und Mai feuchter, der April aber geringfügig trockener:

Abbildung 3: Der April wird schon seit den späten 1930er Jahren trockener, wobei die beiden trockensten Monate mit je 4mm 1883 und 2007 beobachtet wurden; auch der April 2020 wird extrem dürr ausfallen. In Relation zur Sonnenaktivität (Anzahl der Sonnenflecken) fehlt ein statistischer Zusammenhang, doch könnte die seit den 2000er Jahren stark nachlassende Sonnenaktivität die Aprildürre verstärkt haben. Sonnenaktivität vom Februar, weil diese meist zeitverzögert wirkt.

Dass die Sonnenaktivität die Frühjahresniederschläge beeinflusst, ist zwar plausibel, aber schwierig zu beweisen. Nimmt man jedoch als „Startpunkt“ das jeweilige Maximum der Sonnenaktivität im etwa 11-jährigen SCHWABE-Zyklus und ordnet die darauf jeweils folgenden Frühjahre oder Monate von 1 bis 11 („1“ direkt nach dem Maximum, das immer vor der betrachteten Jahreszeit liegen muss!), so zeigt sich folgendes Bild:

Abbildungen 4a und 4b: Mittelwerte des Niederschlages (mm) der gleichrangigen Zyklus-Frühjahre (oben, 4a) und des Aprils (unten, 4b) nach dem Sonnenfleckenmaximum. Die Ergebnisse sind nicht signifikant und demzufolge auch für Vorhersagen unsicher; der sechste Frühling und besonders der sechste April, den wir mit dem Dürre-April 2007 hatten und auch 2020 wieder haben, fielen aber merklich zu trocken aus.

Weil Dürren auch durch zu hohe Temperaturen begünstigt werden, lohnt sich auch ein Blick auf die Frühlingstemperaturen:

Abbildung 5: Der sechste und der zehnte Frühling nach dem Sonnenflecken-Maximum fielen deutlich zu warm aus.

Es deuten sich also Einflüsse der Sonnenaktivität auf die Frühjahreswitterung an – weil schon in der Vergangenheit die sechsten Frühjahre nach dem Maximum des SCHWABE-Zyklus zu warm und zu trocken waren, wird nun auch die aktuelle Frühjahreswitterung 2020 erklärbar.

Verstärkt die menschliche Tätigkeit die Frühjahresdürre?

Seit dem späten 19. Jahrhundert veränderte sich die Landnutzung massiv, und dieser Prozess dauert bis heute an. Durch Meliorationen, Bebauung und Versiegelungen gingen einst intakte Feuchtgebiete, Böden und Vegetationsflächen als Feuchtespeicher verloren – Wasser, das einst verdunsten und damit zur Wolken- und Niederschlagsbildung beitragen konnte, wird heuer viel schneller über die Kanalisation abgeleitet; zudem heizen sich Beton und Asphalt stark auf. Dabei ist der „UHI-Effekt“ (vom englischen „Urban Heat Island Effect“) nur ein punktuelles Indiz in Ballungszentren für die menschengemachte Erwärmung:

Abb. 6: Vergleich der in einem Ballungsraum liegenden Station Frankfurt/Main Flughafen mit dem ländlichen Gießen. Die viel schnellere Erwärmung des Ballungsraumes wird deutlich.

Straßen, Bahnstrecken, Stromtrassen, Entwässerungsmaßnahmen und weitere Nutzungsänderungen „tragen“ die siedlungsbedingte Erwärmung aber auch in die freie Landschaft; und neuerdings rückt der massive Ausbau der Wind- und Solaranlagen in den Blickpunkt. Besonders Windenergieanlagen (im Folgenden WEA genannt) erlebten in den vergangenen Jahrzehnten einen regelrechten Ausbau-Boom. Standen 1988 kaum 150 Windräder in Deutschland, so waren es Ende 2019 fast 31.000 WEA! Mit Höhen zwischen 50 und 200 Metern und ihren enormen Flügelspannweiten wirkt dieser neu erwachsene künstliche Wald wie ein riesiges Hindernis für den aus Nordwesten wehenden, feuchten, Regen bringenden Wind mit Lee-Effekten; außerdem werden zusätzliche Turbulenzen erzeugt, was die Nebelbildung und die nächtliche Abkühlung vermindern und die Wolkenbildung beeinflussen kann. Hinzu kommt der massive Zubau von WEA in den Nachbarländern Holland und Dänemark. Die folgende Übersichtskarte zeigt die massive Häufung der WEA in Deutschland:

Abbildung 7: Standorte wichtiger Windenergieanlagen (WEA) 2019 On- und Offshore. Der Bau erster, noch gigantischerer Anlagen auf See („Off-Shore“) begann 2008/09. Man erkennt die enorme Häufung in NW-Deutschland; der Süden war weniger betroffen. Bildquelle

Ein erster Hinweis zu möglichen klimatischen Auswirkungen des Windkraftausbaus ergab sich aus Untersuchungen des Autors zur Entwicklung der Windgeschwindigkeiten in Norddeutschland. Sie zeigen tendenzielle Abnahmen; Näheres dazu, auch über die meteorologischen Hintergründe, hier. Für den April ergibt sich folgendes Bild:

Abbildung 8: Tendenziell sinkende Windgeschwindigkeiten im April seit 1992. Mittel aus 25 DWD-Stationen; ein DWD-Flächenmittel gibt es leider nicht, und statt konkreter Geschwindigkeitsangaben liegen diese Stationswerte nur in Beaufort vor.

Setzt man nun die Ausbau-Entwicklung der WEA (Beginn: 1988) in Relation zum Flächenmittel des Aprilniederschlages in Deutschland, so zeigt sich folgendes Bild:

Abbildung 9: Mit dem kontinuierlichen Ausbau der Windenergie (hier in Tausend vorhandene Anlagen pro Jahr) sanken tendenziell die Aprilniederschläge in Deutschland. Weil die WEA-Anzahl statistisch meist viel später als im April des jeweiligen Jahres erfasst wird, wurde deren Vorjahresanzahl mit dem jeweils zugehörigen Aprilniederschlag des Folgejahres in Relation gesetzt; es ergab sich für die Wertepaare 1988/1989 bis 2018/2019 ein im Grenzbereich der Signifikanz liegender Korrelationskoeffizient von -0,368.

Noch deutlicher wird ein möglicher Zusammenhang bei dekadenweiser Betrachtung:

Abbildung 10: Mit dem dekadenweisen Ausbau der Windenergie sanken die Aprilniederschläge in Deutschland merklich.

Die Vorläufigkeit dieser Untersuchungsergebnisse muss betont werden, und Korrelationen beweisen noch keine kausalen Zusammenhänge. Auch zeigen sich nicht in allen Monaten derart deutliche Zusammenhänge – aus der Reihe tanzt der Mai mit positiver Korrelation, was aber möglicherweise mit der „Vorliebe“ dieses Monats für Ostwetterlagen erklärt werden kann. Diese neigten auch schon vor Einführung der Windenergie zu Trockenheit, und in unseren östlichen Nachbarländern wurden außerdem weitaus weniger Windräder aufgestellt. Allerdings korreliert der WEA-Ausbau auch mit den steigenden Lufttemperaturen in Deutschland, und zwar schwach negativ im Winter, deutlich positiv in den übrigen Jahreszeiten, besonders markant positiv im Juni, was ein ernster Hinweis ist, dass die angeblich so klimafreundliche Windenergie merklich zur Klimaerwärmung beiträgt.

WI-Effekte und Luftreinhaltemaßnahmen ließen die Sonnenscheindauer im Frühling stark ansteigen – das wirkte stark erwärmend und austrocknend

Weil heuer mehr verdunstungswirksames Wasser in der Kanalisation verschwindet, es weniger Vegetationsflächen gibt und die Luft Dank der peniblen EU-Luftreinhaltemaßnahmen viel klarer wurde (weniger Staub, Dunst, Nebel und tiefe Wolken), scheint die Frühlingssonne nun viel länger und kräftiger. Eine dritte wesentliche Ursache, geänderte Häufigkeitsverhältnisse der Großwetterlagen, soll ebenfalls erwähnt werden und Thema eines gesonderten Beitrages werden. Abschließend sei hier die Entwicklung der Sonnenscheindauer aller drei Frühlingsmonate im DWD- Flächenmittel für Deutschland gezeigt; diese liegen leider erst seit 1951 vor:

Abbildungen 11a bis 11c: Langfristige Zunahme der Sonnenscheindauer in allen drei Frühlingsmonaten über Deutschland, besonders im April. Aber erst ab April wirkt diese stark erwärmend. Auch der Frühling 2020 wird sehr sonnenscheinreich ausfallen, der März hat sein Soll schon übererfüllt, nun deutet sich ein sehr sonniger April an. Wegen der sehr unterschiedlichen Größen musste die Sonnenscheindauer in Indexwerte umgerechnet werden, um sie gemeinsam mit der Lufttemperatur darstellen zu können.

In einem späteren Beitrag werden die meteorologischen Ursachen der aktuellen Frühjahrstrockenheit erörtert.

Stefan Kämpfe, Diplomagraringenieur, unabhängiger Natur- und Klimaforscher




Markante Zirkulations­anomalien: 2018, 2019 – und nun auch 2020?

Der Witterungsverlauf seit Herbst 2019

Über den Verlauf seit Beginn der markanten Zirkulationsanomalien von Februar 2018 bis zum Sommer 2019 wurde beim EIKE schon hier und hier ausführlich berichtet. Der September 2019 brachte den typischen Mix aus Altweibersommerwetter und wechselhaften Phasen, allerdings um den 19. schon vereinzelte Bodenfröste, während im Oktober nach kühlen ersten Tagen mit Bodenfrösten feucht-mildes Herbstwetter überwog. Ersten Nachtfrösten um das Monatsende folgte ein wechselhafter, durchschnittlicher, regenreicher November, der zur sehr milden Westwind-Witterung des Dezembers überleitete. Im Januar 2020 bestimmte sehr hoher Luftdruck über Nordwest-, Mittel- und Südosteuropa mit langen, niederschlagsfreien Phasen das Geschehen, was besonders nordöstlich der Elbe durch einfließende Nordseeluft extrem mildes Wetter zur Folge hatte; in Süddeutschland kühlte sich die Luft bei Windstille hingegen zeitweise stark ab; es traten mäßige, vereinzelt strenge Nachtfröste auf. Der zweitwärmste Februar seit 1881 wurde praktisch vollständig von mildem, stürmischem, regenreichem Westwetter dominiert, welches sich noch bis Mitte März fortsetzte; pünktlich zum kalendarischen Frühlingsbeginn setzte eine massive Kaltluftzufuhr, erst aus Nordost, dann aus Nord, ein. Dabei entstand am letzten Märzwochenende ein rekordverdächtig starkes Hochdruckgebiet auf dem Ostatlantik:

Abbildung 1: Wetterkartenausschnitt vom 29. März 2020 mittags. Man erkennt südlich von Island ein extrem starkes Atlantik-Hoch mit einem Kerndruck von 1055 hPa, das an seiner Ostflanke arktische Kaltluft nach Deutschland lenkt. Ob das ein neuer Luftdruck-Rekord ist, konnte wegen fehlender Unterlagen nicht eindeutig geklärt werden. Bildquelle Archiv wetter3.de, leicht verändert und ergänzt.

Erst mit Aprilbeginn setzte eine allmähliche Erwärmung ein.

Werden die ausgleichend wirkenden Westwetterlagen seltener?

Westwetterlagen (auch zonale Lagen genannt) haben im Jahresmittel kaum Einfluss auf die Deutschland-Temperaturen, denn ihr stark wärmender Einfluss im Winter wird durch ihren kühlenden Einfluss im Sommer fast ausgeglichen; außerdem sind sie unsere „Regenbringer“ und aufgrund ihrer Häufigkeit sozusagen das „normale“ Wetter – aber wie wir gleich noch sehen werden, können Zirkulationsanomalien mitunter auch bei Westlagen auftreten, dann nämlich, wenn sie mit Sturm und Starkregen über die Stränge schlagen wiez. B. im Februar 2020. Ihre Gegenspieler sind die so genannten meridionalen oder meridianen Wetterlagen, das sind alle Nord-, Ost- und Südlagen, von denen die Ostlagen wegen ihrer Winterkälte und Sommerhitze gefürchtet sind, während nördliche Lagen besonders im Frühling und Herbst markant zu kalt, Südlagen außer im Winter fast stets markant zu warm ausfallen. Die Behauptung, es gebe neuerdings mehr Extremwetter, lässt sich anhand der langfristigen Häufigkeitsentwicklung dieser beiden Gegenspieler aber nicht belegen:

Abbildung 2: Deutliche Häufigkeitsabnahme der (zonalen) West- und nicht signifikante Zunahme der meridionalen Großwetterlagen in Mitteleuropa. Lineare Trends (fette Linien) und 21ig-jährige Gleitmittelwerte, endbetont (halbfette Linien).

Aber wenn die zu Extremwetter neigenden Lagen den Häufigkeitsschwund der Westlagen nicht ausgleichen konnten, welche waren es dann? Es sind, wie in früheren Arbeiten des Verfassers schon öfters erwähnt, die zur gemischten Zirkulation zählenden, im Jahresmittel stark erwärmend wirkenden Südwestlagen; diese haben einen westlichen und einen südlichen Strömungsanteil und zählen daher zur gemischten Zirkulation:

Abbildung 3: Seit 1881, dem Beginn der Erstellung halbwegs verlässlicher Wetterkarten, hat sich die Häufigkeit der in Deutschland stark erwärmend wirkenden Südwestlagen merklich erhöht. Außerdem erwärmte sich der Nordatlantik, wobei es eine schwächere Warmphase um 1900, eine stärkere um 1945 und eine aktuelle, sehr starke, gibt. Die Kurvenverläufe der gleitenden Mittelwerte (fette Kurven) ähneln sich, wobei die AMO etwa 20% der Häufigkeitsvariabilität der SW-Lagen erklärt. Fast alle Jahre ganz ohne SW-Lagen traten vor 1950 auf; danach war nur 1991 frei von SW-Lagen; 2019 hatten wir 44 Tage.

Südwestlagen können, besonders in ihrer antizyklonalen Form, zwischen Mai und Oktober mitunter auch Hitzewellen auslösen. Und eine mögliche Ursache ihrer Häufigkeitszunahme haben wir nun gleich mit kennengelernt – die AMO (AMO = Atlantische Mehrzehnjährige Oszillation, ein Index für die gemittelten Meeresoberflächentemperaturen im zentralen Nordatlantik). Ob und wann jedoch das Ende der aktuellen AMO-Warmphase und damit auch der häufigen SW-Lagen schon begonnen hat, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Hingegen lässt sich die Häufigkeitsabnahme der Westwetterlagen im Jahresmittel nicht zweifelsfrei erklären; möglicherweise kommt hierfür die seit 1990 stark nachlassende Sonnenaktivität in Betracht. Bliebe außerdem zu erwähnen, dass die Häufigkeit der Westwetterlagen nur von Frühling bis Herbst, besonders im Sommer, nicht aber im Winter, abnahm, was einer gesonderten Erklärung bedarf.

Viele, sehr intensive Westwetterlagen im Winter 2019/20 – warum?

Freuer (2020) hat in seiner Arbeit „Über einen möglichen Zusammenhang zwischen winterlichem Polarwirbel und Winterkälte in Mittleren Breiten“ hier bei EIKE dargelegt, was ein Polarwirbel ist, und wie er die Winterwitterung in Mitteleuropa beeinflussen könnte. Da es an einem lange zurückreichenden Archiv von Stratosphärenkarten mangelt, erweist es sich als praktisch, die beim USA-Wetterdienst NOAA seit 1948 verfügbaren Angaben zu den Temperaturen in der Stratosphäre über der Arktis zu nutzen; für die folgenden Untersuchungen wurden die 50hPa-Stratosphärentemperaturen über dem Nordpol verwendet. Die Sachlage stellt sich folgendermaßen dar: Je kälter es dort im Winter ist, desto kräftiger ist tendenziell der die Zirkulation beeinflussende Polarwirbel. Setzt man diese Nordpol-Stratosphärentemperatur nun in Relation zu den Wintertemperaturen in Deutschland, so zeigt sich tatsächlich ein, wenn auch schwacher, negativer Zusammenhang – tendenziell hat ein kalter Polarwirbel einen Mildwinter in Deutschland zur Folge! So auch 2019/20, als über dem Nordpol im Wintermittel minus 77,7°C gemessen wurden – deutlich kälter als der Mittelwert 1948/49 bis 2018/19 mit minus 69,4°C. Ähnliche Verhältnisse herrschten in den Mildwintern 1973/74, 1975/76, 1982/83, 1989/90, 1992/93, 1999/2000, 2006/07, 2013/14 und 2015/16; doch kann die polare Stratosphärenkälte nicht jeden Mildwinter erklären; in seltenen Fällen (1985/86 und besonders 1995/96) hatte sie auch Kaltwinter zur Folge. Es stellt sich aber die spannende Frage, ob engere Beziehungen zu den Häufigkeiten der Westwetterlagen und zu den Index-Werten der NAO bestehen. Der NAO-Index (Nordatl. Oszillation) ist ein Maß für das Luftdruckgefälle zwischen den Azoren und Island; bei hohen, positiven Werten stehen sich ein jeweils kräftiges Azoren-Hoch und Island-Tief gegenüber, was Westlagen begünstigt; bei sehr negativen Werten tauschen Hoch und Tief die Plätze (Island-Hoch und ein Tief über SW-Europa; es kommt dann oft, aber nicht zwangsläufig, zu Kälteeinbrüchen aus Nord oder Nordost in Mitteleuropa). Tatsächlich findet sich für den Winter ein freilich nur mäßiger Zusammenhang zwischen der Stratosphärentemperatur am Nordpol und den NAO-Werten:

Abb. 4: Obwohl der statistische Zusammenhang zwischen der winterlichen Stratosphären-Temperatur über dem Nordpol und dem winterlichen NAO-Index nur mäßig ist, deutet er darauf hin, dass ein intensiver, kalter Polarwirbel die winterliche Westwind-Zirkulation beschleunigt und damit Mildwinter in Deutschland begünstigt.

Leider liegen die genauen NAO-Daten für den Mildwinter 2019/20 noch nicht vor, doch verdeutlicht die folgende Abbildung das markante Vorherrschen positiver NAO-Werte und deren jähen Absturz ins Negative nach Mitte März, was dann die für den Frühling so typische Umstellung der Zirkulation auf Nord bis Ost mit später Kälte und beginnender Dürre auslöste:

Abbildung 5: Täglicher Verlauf der NAO seit Mitte Dez. 2019. Bildquelle NOAA.gov, ergänzt.

Damit ist klar: Mildwinter in Deutschland werden zumindest durch unterdurchschnittliche Stratosphären-Temperaturen begünstigt – je niedriger diese sind, desto eher dominieren positive NAO-Werte, was die Intensität und die Häufigkeit milder Westwetterlagen erhöht; freilich ist hier noch viel Forschungsarbeit zu leisten. Im Winter 2019/20 kamen außerdem noch sehr hohe AMO-Indexwerte, besonders im Februar, hinzu. Ob die Kombination hoher AMO-Werte und sehr niedriger Stratosphärentemperaturen über der Arktis die Wahrscheinlichkeit sehr milder Winter weiter erhöht, bedarf noch einer Klärung.

Beeinflusst die Sonnenaktivität die arktischen Stratosphärentemperaturen?

Mit der winterlichen Abkühlung alleine lässt sich die Lage des Polarwirbels über der Arktis nicht erklären, denn viel weiter südöstlich, im Inneren Sibiriens, herrschen deutlich tiefere Wintertemperaturen. Eine wesentliche Rolle spielt vielmehr das winterliche Fehlen der Sonne über der Arktis; damit fehlt das für die stratosphärische Ozonbildung erforderliche kurzwellige UV-Licht. Bei den komplizierten Prozessen des Ozonumsatzes wird jedoch Wärme frei – dies ist auch der Grund dafür, warum es in Teilen der Stratosphäre wärmer sein kann, als in der oberen Troposphäre. Wenn im Spätwinter die Sonne über der Arktis aufgeht, beginnt die Ozonbildung und leitet den Zerfall des Polarwirbels ein; erst im Herbst entsteht er neu. Nun strahlt aber die Sonne in Zeiten höherer Aktivität etwas mehr kurzwelliges UV ab, was zu mehr Ozonbildung in der Stratosphäre führen könnte und damit diese von Frühling bis Herbst stärker erwärmt. Momentan lässt die Sonnenaktivität stark nach, was zwar im Winter keine Rolle spielt, weil sie da nicht scheint, aber in den anderen Jahreszeiten zu sinkenden arktischen Stratosphärentemperaturen führen müsste, was dann einen zeitigeren und tendenziell kälteren winterlichen Polarwirbel entstehen lässt. Tatsächlich deutet sich ein derartiger Trend an:

Abbildung 6: Langfristige Abnahme der herbstlichen Stratosphärentemperatur (50hPa) über dem Nordpol. Bislang noch kein negativer Langfristtrend im Winter; doch nach dem Jahr 2000 deutet sich auch hier ein leichter Rückgang an.

Diese Zusammenhänge könnten auch erklären, warum der Winter die einzige Jahreszeit ist, in welcher die Westlagen nicht seltener wurden. Aber warum gab es dann während der „Kleinen Eiszeit“ mit ihrer sehr inaktiven Sonne so viele bitterkalte Winter in Europa, welche momentan fehlen? Damals dauerte die Ruhephase der Sonne sehr lange, nämlich über ein halbes Jahrhundert. Möglicherweise wurde damals der winterliche Polarwirbel immer kälter und größer, bis er irgendwann auch in die mittleren Breitengrade reichte. Damit verlief aber das Westwindband immer weiter südlich, bis schließlich Mitteleuropa auf seine kalte Seite gelangte; das entspräche der Großwetterlage „Südliche Westlage“, welche auch den in Norddeutschland extrem kalten Winter 1978/79 einleitete; momentan ist diese Wetterlage selten. Hier besteht noch viel Forschungsbedarf; doch sollte die aktuelle inaktive Sonnenphase noch lange anhalten, kann mein eine starke Klima-Abkühlung nicht ausschließen.

Zirkulationsstörungen 2020 und Vegetationsentwicklung

Die Bauern-Regeln „April dürre, macht die Hoffnungen irre“ oder „Mai trocken, macht alles Wachstum stocken“ sind uns von den vergangenen Jahren mit ihren im Frühling sehr ausgeprägten Zirkulationsstörungen in unguter Erinnerung; und nach dem Witterungsumschwung ab dem 20.März drohen weitere Zirkulationsanomalien. Auch im Frühling deuten sich nämlich Zusammenhänge zwischen den stratosphärischen Temperaturen über der Arktis und den Zirkulationsverhältnissen an; unter anderem werden die gefürchteten Ostlagen durch positive Anomalien der Stratosphärentemperaturen am Nordpol gefördert. Die Stratosphären-Vorhersagen lassen da zumindest für die nächsten Wochen nichts Gutes erahnen:

Abbildung 7: Vorhersage der Stratosphären-Temperaturen über der Nordhalbkugel für den 21.April 2020 (10 hPa-Niveau) . Der winterliche Polarwirbel ist längst verschwunden – es herrschen nun gegensätzliche Verhältnisse. Über dem Nordpol liegt Warmluft (gelb); über den mittleren Breiten ein Band kälterer Höhenluft (blau). Quelle meteociel.fr

Hinzu kommen die hohen AMO-Werte; diese hatten besonders im April tendenziell erhöhte Lufttemperaturen in Deutschland zur Folge:

Abbildung 8: In AMO-Warmphasen fällt der April in Deutschland eher wärmer aus. Der Zusammenhang ist nur schwach, aber trotzdem spürbar.

April-Wärme fördert aber die Verdunstung – schon um den 5.April bildeten sich Trockenrisse in den Böden.

Abbildung 9: Die wegen der März-Kälte wochenlang blühenden Osterglocken kämpfen nun mit der beginnenden Dürre – ähnlich, wie 2018. Foto: Stefan Kämpfe

Und welche Schäden die Spätfröste Ende März anrichteten, ist noch gar nicht voll absehbar. Ihre enorme Stärke könnte in selbst noch geschlossenen Blütenknospen die Narbe und den Fruchtknoten geschädigt haben, doch Genaueres wird sich erst in den kommenden Wochen zeigen.

Abbildung 10: Frühtemperaturen bei der antizyklonalen Ostlage am 23.03.2020. In Südostdeutschland wurden minus 4 bis unter minus 10 Grad gemessen, und die Wetterstationen stehen nicht in den Kältelöchern. Bildquelle wetterzentrale.de

Wie dramatisch sind die aktuellen Zirkulationsanomalien?

So unangenehm die momentanen Witterungsanomalien auch sein mögen, sie sind harmlos im Vergleich zu historischen Ereignissen. Ein Blick auf die beiden wohl dramatischsten Naturkatastrophen Mitteleuropas während der letzten 1.000 Jahre reicht schon aus. Das erste Ereignis war das so genannte Magdalenen-Hochwasser vom Juli 1342. Bei diesem Ereignis wurden an vielen Flüssen die höchsten jemals registrierten Wasserstände erreicht. Möglicherweise handelte es sich um das schlimmste Hochwasser des gesamten 2. Jahrtausends im mitteleuropäischen Binnenland; fast die gesamte Ernte wurde zerstört; es entstanden bis zu 14 Meter tiefe Erosionsschluchten; und die Zahl der Todesopfer ging vermutlich in die Zehntausende. Bei dem anderen Ereignis, der „zweiten Marcellus-Flut“ im Januar 1362, ertranken im Nordseeraum mehrere hunderttausend Menschen, etwa 100.000 Hektar bestes Ackerland gingen verloren, und die Nordseeinsel Rungholt, auch „Atlantis des Nordens“ genannt und damals der größte nordische Handelsplatz, versank bei dieser schweren Sturmflut. Gegen diese Beispiele sind die Hochwasser von 2002 und 2013 oder die Stürme „Lothar“ und „Kyrill“ unbedeutend. Wenn unsere Gesellschaft schon durch ein mäßig-infektiöses Virus an den Rand des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ruins gerät – was würde wohl passieren, träfe sie eine solche Naturkatastrophe wie im 14. Jahrhundert (kurz nach diesen beiden Katastrophen zog 1347 die Pest ein und tötete etwa ein Drittel der deutschen Bevölkerung – mit Panik-Medien wie ARD und ZDF hätten sich vermutlich die zwei Drittel der Überlebenden auch noch zu Tode gestürzt).