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Claudia Kemfert, Chefideologin der Energiewende – „MOLEKÜLSTAU IM NETZ“

Immer wenn unsere Tendenzmedien ein seriös erscheinendes Statement zur unaufhaltsam voranschreitenden erfolgreichen Energiewende brauchen, findet der Mikrofon haltende investigative Journalist Frau Professor Kemfert vom DIW. Hier kann er sicher sein vor Überraschungen, denn sie erzählt mediengerecht zuverlässig stets dasselbe mit der Kernbotschaft: Wir müssen aus der Kohle raus. Mit der Zuverlässigkeit der immer gleichen eingelegten CD und fast unabhängig davon, wie die Frage lautete. Variiert wird das Ganze dann bezüglich des aktuellen Themas, etwa Atomausstieg oder Nordstream 2.

Hilfreich ist dabei ihr mediales Geschick, ihr seriöses Auftreten wie auch die Erscheinung. Der Frau mit dem stets akkuraten Kragen würde man jede Fotovoltaikanlage abkaufen, sie wirkt ausgeglichen, unaufgeregt und voller Selbstgewissheit. Unvorstellbar, dass sie den Zweifel kennt, mit Sicherheit nicht den Selbstzweifel. Für Talkshows ist sie im Besitz einer Dauerkarte. Ein passendes Bild fürs Printmedium findet sich immer, ihre Homepage hält in den Kategorien „Porträts, Vorträge, Büro, Gespräch, Unterwegs“ insgesamt 100 Fotos bereit. Was soll`s, eitel ist jeder, der eine weniger, die andere mehr.

Einige ihrer Thesen sind so steil, dass man sie nicht ernst nehmen kann. In einem Beitrag in „Capital“ schreibt sie über Mythen der Energiewende. Strom werde billiger durch den weiteren Ausbau der Erneuerbaren, Atom- und Kohlestrom verstopfe die Netze und die Kosten der EEG-Umlage seien keine Subventionen, sondern Investitionen. Dumm nur, dass etliche dieser Investitionen schon gestrandet sind. Ein großer Teil der mit Hilfe des EEG erzielten Gewinne und Dividenden sind über den Atlantik oder anderweitig verschwunden. Glückskinder dank EEG wie Solarkönig Asbeck (ehemals Solarworld) oder Windfürst Wobben (Enercon) haben mit einem Teil dieser „Investitionen“ eigene Konten bedient, die nun einige Milliarden Euro schwer sind.

Frau Kemfert gehört zu den wohl am besten verdrahteten Personen im großen Netz der Energiewende-Klima-Wissenschafts-Politik-Bürokratie. Arbeitsergebnisse sind unter anderem Streitschriften wie „Kampf um Strom“ oder „Das fossile Imperium schlägt zurück“, so als sei der Umbau des Energiesystems ein Krieg. Solche Titel passen eher zu taz-Artikeln, Groschenromanen oder zur Inhaltsangabe von „Frontal 21“.

Die Kommentare bei Amazon zum letztgenannten Buch zeigen die Enttäuschung der Leser: „Endlose Wiederholungen, die Formulierung kommt gefühlt 200 mal daher“, schreibt ein Leser. „Ich hatte an keiner Stelle den Eindruck, ein von einer Wissenschaftlerin geschriebenes Buch zu lesen“, so ein anderer. Unterm Strich durchschnittlich drei schlappe Sterne. Ein Buch mit dem Fachtitel

„Makroökonomische Wirkungen umweltökonomischer Instrumente: Eine Untersuchung der Substitutionseffekte anhand ausgewählter volkswirtschaftlicher Modelle für Deutschland“

ist auch zu haben, neu für 72,95 Euro bei Amazon. Gebraucht schon ab 2,88. Sternebewertungen gibt es hier nicht, der Leserkreis hält sich offenbar in Grenzen (Amazon-Bestseller-Rang Nr. 3.045.343). Erstaunlich, dass sie dennoch als „bekannteste Wissenschaftlerin für Energie- und Klimaökonomie“ bezeichnet wird. „Bekannteste“ heißt nun nicht „Beste“, aber ihre optimale Selbstvermarktung und ihr Netzwerken zeigen Wirkung.

Kennzeichnend für ihre Beiträge, sowohl schriftlich als auch verbal, ist die fast gänzliche Abwesenheit von Zahlen. In schönster Prosa wärmt sie im Wesentlichen die bekannten Positionen auf. Schon wenn man die Formulierungen etwas lüftet und die passenden Zahlen hervorkramt, wird klar, dass hinter der Fassade wenig ist. Ihre These (im DLF-Interview vom 25.1.2018), die Schwankungen der Wind- und Solareinspeisung könnten durch Biomasse- und Wasserkraftanlagen kompensiert werden, steht zum Beispiel auf sehr schmaler Basis – im wahrsten Sinne des Wortes. Wie man mit etwa 10.000 Bio- und Wassermegawatt Schwankungen von über 50.000 Megawatt aus Wind und Sonne ausgleichen will, ist schleierhaft.Wenn sie schon Zahlen nennt, hat sie eben oft auch noch Pech. 2011 sagte sie für 2020 eine EEG-Umlage von 3,64 Cent pro Kilowattstunde voraus (1, Quellen am Textende), worüber wir uns heute bei aktuell 6,756 Cent pro Kilowattstunde natürlich freuen würden.

2012 verkündete sie in der „Sächsischen Zeitung“, dass die Kilowattstunde Strom 2030 insgesamt nur 1,1 Cent mehr als heute (2012) kosten werde (2). Das wären etwa 27 Cent. Warten wir mal ab. Wir werden das blonde Wunder dieser Voraussage hoffentlich noch erleben. Ebenso fragwürdig ihre Aussage, dass erhöhte Systemkosten nicht gravierend sein würden (3). In der „Märkischen Allgemeinen“ teilte sie 2012 mit, dass der technologische Fortschritt die erforderliche Netzstabilität gewährleistet und eine Speicherung ermöglichen werde (4). Die Netzstabilität ist tatsächlich durch erhebliche Fortschritte vor allem bei der Regelung konventioneller Kraftwerke gesichert, aber von Speichern ist weit und breit nichts zu sehen.

Für Detailprobleme ist sie nicht zu haben. „Der Anteil der Atomenergie kann und wird problemlos durch erneuerbare Energien ersetzt werden.“ (5) Offenbar ist das nicht so einfach, wie man gegenwärtig in Baden-Württemberg sieht, wo ein grüner Umweltminister besorgte Bürger damit beruhigt, dass die Versorgungssicherheit durch Importe gesichert werden kann. Für das Gesamtjahr 2019 hatte Frankreich mit Deutschland einen annähernd ausgeglichenen Stromaustauschsaldo. Was von dort kommt, ist zu 70 Prozent Atomstrom.

Zum kürzlich vereinbarten Kohleausstieg sagt sie im Interview ebenso auf die Frage, ob der Wegfall der Kohlekapazitäten durch den Ausbau der Erneuerbaren kurzfristig kompensiert werden könnte: „Ja, das kann er, aber nur, wenn der Ausbau (der Erneuerbaren) nicht weiter abgewürgt . . .“ und so weiter im interessenkompatiblen Sprech der grünen Subventionswirtschaft.

Auch ihre Prognose zur Entwicklung der Arbeitsplätze bei den „Erneuerbaren“ ging daneben. 2013 erwartete sie 100.000 neue Stellen, stattdessen sind es etwa 60.000 weniger geworden. Wenn es der Energiewende dient, ist sie auch politisch flexibel. Als 2012 nicht ins Amt gelangte Schattenministerin des virtuellen CDU-Ministerpräsidenten Röttgen in NRW wechselte sie 2013 zu Schäfer-Gümbels Hessen-SPD, um Energiewendebeauftragte zu werden. Auch darüber ging die Geschichte folgenlos hinweg.Noch 2013 beklagte sie, dass der Netzausbau verschleppt würde und erklärte physikalisch beeindruckend in der Zeit, Netzausbau sei notwendig, sonst gäbe es „Molekülstau im Netz“. Da fällt jedem Fachelektriker die Werkzeugtasche aus der Hand. So wie Netze nicht verstopfen können, fließen da auch keine Moleküle, aber es wirft ein Licht auf die fachliche Kompetenz der Beraterin, die als einzige Disziplin die Wirtschaftswissenschaften studierte, sich aber als Expertin für alles versteht. Im festen Glauben eigener Unfehlbarkeit urteilt sie auch über andere Fachgebiete und weiß zum Beispiel, dass sich der Klimawandel leicht berechnen lassen würde. „Wenn der CO2-Gehalt um 25 Prozent steigt, dann hat das eine Erwärmung von 2 Grad zur Folge“. Wozu brauchen wir dann Tausende von Klimawissenschaftlern?

Heute erklärt sie, man brauche den Netzausbau in dieser Form nicht, weil da auch Kohlestrom fließe. Ausgerechnet die Netzbetreiber würden um Rat gefragt. Ja, wer denn sonst? Sie würden mit jedem Netzmeter Geld verdienen – das ist schlimm. Sie spricht von Traumrenditen und erwähnt nicht, dass die Renditen der Netzbetreiber staatlich reguliert sind. Traumrenditen fährt man wohl eher auf dem Feld der Politikberatung ein. Sie stellt den Netzausbau in Frage mit Blick auf eine vorgebliche Dezentralisierung, die zwar Einspeisung, aber keine Versorgungssicherheit bringt. Gleichzeitig fordert sie Speicher und Elektromobilität und fokussiert die gesamte Energiewende auf den Strom. Allerdings bekommt sie beim Thema Netzausbau Gegenwind aus dem eigenen Lager. Sowohl Greenpeace als auch der windkraftbegeisterte niedersächsische Umweltminister Olaf Lies (SPD) und der hessischen Wirtschaftsminister Tarek Al Wazir (Grüne) sehen den Netzausbau als dringend an. Frau Kemfert indes teilt ihre Meinung mit den Windkraftbetreibern, die auch dann Geld verdienen, wenn der Strom nicht abtransportiert werden kann.

Kemfert spricht sich gegen den Emissionshandel aus und beklagt dessen Wirkungslosigkeit. Nachdem „Agora-Energiewende“, Partner im Geiste, nun die CO2-Reduzierung 2019 als direkte Folge des Emissionshandels sieht, platzt ihr Argument, die „Erneuerbaren“ seien die Ursache. So wenig wie 2019 wurde seit Jahren nicht mehr von diesen zugebaut.

Auch zum Kernkraft-Ausstieg zeigt sie sich flexibel. Nach Fukushima verkündete sie noch: „Wenn man nun überstürzt rasch und unüberlegt aus der Kernenergie aussteigt, droht die Gefahr, dass man jede Menge neue Kohlekraftwerke baut und damit die Klimaziele in Gefahr geraten“. Im „Kampf um Strom“ schreibt sie später: „Es gibt keinen Grund zur Panik wegen der abgeschalteten Meiler.“

Manches muss man auch nur überzeugend behaupten. So sagte sie dem WDR, die windkritischen Bürgerinitiativen würden teilweise von fossilen Industrien bezahlt, was nicht beweisbar sein dürfte. Dass Ökoenergiefirmen hingegen die Reisekosten für Demonstranten in den Hambacher Forst übernahmen, gilt als sicher.

Ihren Titel als Professorin erlangte sie ohne Habilitation über eine Juniorprofessur an der Berliner Humboldt-Uni. Dort schied sie „unter nicht ganz glücklichen Umständen“ aus, es habe in der Professorenschaft große Vorbehalte gegen sie gegeben, so die FAZ. In Akademikerkreisen ist es eher unüblich, Differenzen nach außen zu tragen. Wenn es doch jemand tut, wie der Oldenburger Professor Wolfgang Pfaffenberger, der obendrein ihr Doktorvater war, muss der Unmut groß sein. „Die Geschwindigkeit, in der sie Thesen zu wichtigen Themen geändert hat, hat mich schon verwundert“, sagte er über sein ehemaliges Ziehkind.

Es reicht jedenfalls, um Beratung zu machen „an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik“ bis hinauf zum ehemaligen Kommissionspräsidenten Barroso, wobei die Wissenschaft in den Hintergrund tritt gegenüber ihren Botschaften zu Klimaschutz und Erneuerbaren. Fachliche Neutralität kann von ihr nicht erwartet werden. Bei der Nachbesetzung im Sachverständigenrat der Wirtschaftsweisen kommt sie wohl nicht in Frage, weil bekanntermaßen zum linken Lager gehörend. Ein deutlicher Hinweis darauf, dass ihre wissenschaftliche Arbeit politisch stark eingefärbt ist.

Erstaunlich zu registrieren ist, wie zeitpunktgerecht ihre Studien, meist gemeinsam mit dem DIW, veröffentlicht werden. Während der Arbeit der „Kommission für Strukturwandel, Wachstum und Beschäftigung“ (meist als „Kohlekommission“ bezeichnet), wurde deutlich, wie schwierig das Arbeitsfeld ist. Es schalteten sich einige Länderministerpräsidenten ein. Passgenau erschien die DIW-Studie „Erfolgreicher Klimaschutz durch zügigen Kohleausstieg in Deutschland und Nordrhein-Westfalen“. Als im Sommer 2019 einige hochrangige Manager den Finger hoben mit der Anregung, über den Atomausstieg neu nachzudenken, folgte umgehend im DIW-Wochenbericht 30 das Ergebnis einer entsprechenden Untersuchung: „Zu teuer und gefährlich: Atomkraft ist keine Option für eine klimafreundliche Energieversorgung“. Schon die Verwendung des Laien-Begriffs „Atomkraft“ macht hellhörig und provoziert die Frage, wie wissenschaftlich diese Analyse ist. Der Inhalt könnte auch in einer Kampfbroschüre von Greenpeace stehen. Atomkraft emittiere „lebensgefährliche radioaktive Strahlen“, steht geschrieben, so als hätte man das am Kraftwerkszaun nachgemessen. Das ist schlicht Unfug. Verschiedene weitere krude Annahmen und Thesen wurden danach von Fachleuten beantwortet.Kaum vorstellbar, dass rein zufällig just zu diesen Zeitpunkten das Licht der Erkenntnis die Flure im DIW erleuchtete. Es ist eher zu vermuten, dass neben den staatlichen Finanzspritzen auch die Ökoindustrie regelmäßig Aufträge für Gutachten ans DIW schickt. Denn die Ergebnisse und Empfehlungen entsprechen exakt den Forderungen dieses Komplexes der Subventionswirtschaft. Im Gleichschritt mit Wind- und Solarlobby kämpfen Kemfert und das DIW tapfer gegen Atom- und Kohlekraft wie auch gegen Erdgas und Nordstream 2. Die „Brückentechnologie Gaskraftwerke“ hatte Kemfert 2012 noch befürwortet6.

Eine maßgebliche Rolle spielt sie im Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU). Dieses alle vier Jahre vom Bundesumweltministerium berufene Gremium soll die Regierung beraten, wissenschaftlich und neutral. Mit der Berufung von Frau Kemfert sitzt seit 2016 eine politische Wissenschaftlerin im Rat, die Begründungen für die Regierungslinie liefern kann. Obwohl der Rat direkten Draht zur Regierung hat, initiierte er „offene Briefe“ mit Forderungen an diese. Dies ist kein adäquates Arbeitsmittel unter anerkannten Gremien.

Mit dem Sondergutachten zum „Öko-Veto“ gab der Rat die beratende Stimme auf und forderte die Mitwirkung nicht legitimierten Personals an der Gesetzgebung. Harmonisch und im politischen Gleichschritt schien es im Gremium allerdings nicht zuzugehen. Das abweichende Votum eines Mitglieds wird im Bericht verschämt hinten auf Seite 209 abgedruckt, es taucht in der Zusammenfassung nicht auf. Selbst ein Gericht (7) beschäftigt sich jetzt mit der Arbeit des SRU.

Bald werden die Mitglieder des neuen Rates berufen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Kemfert wieder dabei sein wird, ist hoch, ihr werden exzellente Beziehungen zum BMU auf verschiedenen Ebenen nachgesagt. Sie wird weiter die Klaviatur der Energiewende-Begleitwissenschaft spielen, mehr polit-medial denn wissenschaftlich.
Sie wird das Aushängeschild des Energiewende-Establishments bleiben und erwartungsgerecht und flexibel das Watt ihr Volt des Öko-Industrie-Komplexes bedienen. Trockene unpolitische Zahlenknechte waren gestern. Es geht um die Rettung der Welt und Geld. „Für die wirtschaftspolitische Beratung ist im Zweifel die Story wichtiger als die Genauigkeit“, heißt es beim DIW (8).

Man darf gespannt sein, was Frau Kemfert zum absehbaren Scheitern des Energiewende-Experiments sagen wird. Mit einiger Sicherheit wird das fossile Imperium schuld sein. Weitere Gründe wird sie flexibel finden.


1 Wochenbericht DIW 6/2011
2 Sächsische Zeitung 4.7.2012
3 Wochenbericht DIW 41/2019
4 MAZ v. 24.2.2012
5 Magazin der Hans-Böckler-Stiftung) 1+2/2012
6 Magazin der Hans-Böckler-Stiftung) 1+2/2012
7 Handelsblatt, 13.11.2019, „Streit im Umweltrat geht vor Gericht“
8 „Nur Pi mal Daumen“, Welt“ v. 19.12.2009, S.12

Der Beitrag erschien zuerst bei TE hier




Die Modellrechnung

Zeitlich abgestimmt auf die Arbeit der „Strukturwandelkommission“, umgangssprachlich als „Kohlekommission“ und in interessierten Kreisen als „Kohleausstiegskommission“ bezeichnet, präsentiert das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) eine Studie mit Modellrechnungen zum zügigen Kohleausstieg, vor allem in Nordrhein-Westfalen. Nachdem öffentlich wurde, dass der Strukturwandel durch einen Kohleausstieg die Lausitz härter treffen würde als das Rheinland, richtet das DIW nun Kimme und Korn nach Westen. Die Hoffnung, die Reviere würden künftig ihre Forderungen konfrontativ stellen („Nein, fangt ihr an“), dürfte sich indes kaum erfüllen.

Der „Wochenbericht  33“ des DIW vom 15. August enthält den Beitrag „Erfolgreicher Klimaschutz durch zügigen Kohleausstieg in Deutschland und Nordrhein-Westfalen“und stellt nicht weniger als die Erreichung von Emissionszielen und mithin die Weltrettung der Bundesregierung und der Regierung in NRW anheim. Zu Beginn wird schlechtes Gewissen gemacht: Steinkohle und Braunkohle in Deutschland trügen mehr als ein Viertel zu den deutschen Treibhausgasemissionen bei. Verschwiegen wird, dass dafür 40 Prozent des Strombedarfs gesichert werden. Zudem stünden in NRW die meisten und ältesten Kohlekraftwerke und der Beitrag der erneuerbaren Energien zur Stromerzeugung betrüge derzeit nur 12,5 Prozent und sei somit „weit unterhalb des Bundesdurchschnitts von 36 Prozent“. Nachholbedarf wird gesehen.

Einen Blick auf die Ursachen wirft das DIW nicht, die Wissenschaftlichkeit des Berichts bleibt knapp über der Rasenoberkante. Hat der Anteil der Regenerativen in den Bundesländern vielleicht auch mit der geografischen Lage und mit der Bevölkerungsdichte zu tun? 524 Menschen teilen sich in Binnenland NRW einen Quadratkilometer, in Mecklenburg-Vorpommern sind es nur 69. Abstandsregeln für Windkraftanlagen sind für das Institut ohnehin kein Thema. Die Regierung in Düsseldorf versucht gegenwärtig, ihrer Vorsorgeverpflichtung gegenüber der Bevölkerung besser als ihre Vorgänger nachzukommen und will die Abstände erhöhen.

Präsentiert wird eine Modellrechnung für drei Pfade. Ein Referenzmodell, das die Entwicklung ohne politische Eingriffe beschreibt und zwei schärfere Ausstiegsvarianten. Das erinnert mich an Bertolt Brechts „Ballade von der Unzulänglichkeit menschlichen Planens“:

Ja, mach nur einen Plan!
Sei nur ein großes Licht!
Und mach dann noch’nen zweiten Plan
Gehn tun sie beide nicht.

Die zwei beschleunigten Ausstiegspfade orientieren sich an den Vorschlägen zu frühzeitigen Stilllegungen von Kohlekraftwerken bis zum Jahr 2020, welche rund um die Jamaika-Sondierungen im November 2017 diskutiert wurden. Mit anderen Worten: Ein halbgarer politischer Kompromiss dient als Grundlage einer „wissenschaftlichen“ Betrachtung.

Da die berechneten Abschaltungen nicht die Emissionen ausreichend senken, sollen weiter laufende Kraftwerke auf 4.000 Betriebsstunden pro Jahr begrenzt werden. Natürlich wird kein Gedanke daran verschwendet, dass dann wirtschaftlicher Betrieb nicht mehr denkbar ist und eine Subventionierung nötig wäre. Generell wird der ökonomische Aspekt des ganzen Vorhabens standhaft ignoriert, ein geistiges Armutszeichen für ein Institut, das sich der „Wirtschafts“forschung verschrieben haben will.

„Zurzeit wird ein Teil des deutschen Kohlestroms ins Ausland exportiert.“Nein, liebe Laien, es wird Strom exportiert. Man kann ebenso wenig nur Kohlestrom exportieren, wie man nur Ökostrom beziehen kann. Im Netz ist immer ein Strommix aus verschiedenen Quellen. Klingt komisch, ist aber so. Zudem wird manchmal mit Strom gehandelt und manchmal ist der Export pure Verzweiflung zum Zweck der Netzrettung, was sogar zu negativen Strompreisenim Großhandel führt. Dies passiert mit schöner Regelmäßigkeit, wenn viel Wind bläst und oder viel Sonne scheint. Dann können trotzdem nicht alle Kohlekraftwerke abschalten, weil immer noch jemand regeln und die Netzdienstleistungen bereitstellen muss, wozu die Regenerativen nicht in der Lage sind. So gesehen wird dann vor allem regenerativ erzeugter Strom exportiert.

Auf ähnlich dünner Basis geht es weiter. Bei den absehbaren Versorgungsproblemen durch Atom- und Kohleausstieg bei gleichzeitiger Sektorkopplung erspart man sich Berechnungen, sondern bleibt wolkig und schiebt die Verantwortung in Richtung Politik:

„Im Zuge einer verstärkten Verzahnung der Sektoren Strom, Wärme und Verkehr könnte die jährliche Spitze der Stromnachfrage entsprechend steigen. Die zunehmende Elektrifizierung sollte daher von einer adäquaten technologischen, marktlichen, ordnungsrechtlichen und regulatorischen Rahmensetzung flankiert werden. Diese sollte darauf hinwirken, dass gleichzeitig auftretende Spitzen der Stromnachfrage in den gekoppelten Sektoren vermieden oder zumindest gemildert werden.“

Im Klartext bedeutet dies, eine Rationierung einzuführen. Heizen und E-Mobil laden nur mit entsprechend genehmigtem Budget. Oder Wäsche waschen statt Heizen. Oder Auto laden statt Wäsche waschen. Energiearmut ist abzusehen, die verfügbare Strommenge wird sinken, die Preise werden steigen. Aber steigende Kosten bei eingeschränkter Versorgung für die Verbraucher sind kein Thema für das DIW. Stattdessen versteigt sich Frau Professor Kemfert zu der abwegigen Vorhersage, dass der Strom in Zukunft absehbar billigerwerden würde. Das war 2016 und es gibt wirklich keine Anzeichen, die diese aus der Luft gegriffene Prognose stützen würde. Wir sind Strompreis-Europameister beim Haushaltsstrom und Vizemeister beim Industriestrompreis. Im Jahr 2011 weissagte „Miss Energiewende“ (ZEIT) nach einem Blick in die grünglasige DIW-Prognosekugel eine EEG-Umlage für 2020 von 3,64 Cent pro Kilowattstunde. Wir werden sehen.

Das Thema Versorgungssicherheit schiebt man ebenso ab:

„Einerseits kann der Gesetzgeber verstärkt angebots- und nachfrageseitige Potentiale zur Flexibilisierung heben. Hierzu zählen beispielsweise Großbatteriespeicher . . .“.

Auch hier hätte man rechnen können. Keine Angabe zu nötigen Kapazitäten, verfügbaren Technologien, Preisen, Kosten, Betreibern, Standorten und notwendigen Terminen von Inbetriebnahmen. Wirklich alles von dem, was der „Wochenbericht“ vorschlägt, müsste über „Politikmaßnahmen“ reguliert werden und ließe sich nicht über den Markt herbeiführen. Energetischer Staatsdirektionismus soll Markt ersetzen. Bisher hat Plansozialismus realwirtschaftlich noch nie nachhaltig funktioniert.

Wirtschafts-Voodoo statt Wissenschaft

Dringend notwendige Berechnungen erspart sich das Institut. Was hätte man alles modellrechnen und berücksichtigen können?

–      Wie werden die deutschen wegfallenden Kapazitäten ersetzt?

  • Wie gehen die gesicherten Kapazitäten in den Nachbarländernzurück?
  • Anmerkung der Redaktion: Wie die europäischen gesicherten Kapazitäten zurückgehen hätte das DIW bei der EU erfragen oder hier der Zeitung „Die Welt“ entnehmen können. Haben sie aber nicht, das wäre zwar wissenschaftlich gewesen, hätte aber das gewünschte Ergebnis zerstört. Mit Dank an Leser Ordowski für den Hinweis
  • Welcher Speicherbedarf entsteht durch weiteren Zubau volatiler Einspeisung?
  • Welcher Strombedarf entsteht durch die Sektorkopplung? Welcher Netzausbaubedarf entsteht dadurch?

–      Was kostet das Ganze und wie hoch ist der Preis für eine Tonne CO2-Vermeidung? Wenn dieser höher ist als der Zertifikatspreis, wäre es sinnvoller, diese aufzukaufen und zu löschen.

Stattdessen bemüht das DIW den Adam Riese ausschließlich für den mathematischen Zusammenhang zwischen Kohlekraftwerksleistung und CO2-Emission, geht in die Prosa und erzählt vermeintlich positive Nebenwirkungen. Der schützenswerte Wald von Hambach könne erhalten bleiben, wenn der Tagebau nicht kommt. Was die Autoren denken, aber nicht schreiben: Dann kann man auch in diesen Wald Windkraftanlagen stellen. Der Tagebau Inden soll nicht bis 2030 betrieben werden, sondern schon 2020 schließen. Wer dann die Rekultivierung bezahlen soll, wenn der Betreiber dafür keine Rücklagen mehr bilden kann, wird nicht ausgeführt. Ökonomisches Denken ist nicht die Stärke der beauftragten Wirtschaftsvisionäre.

Auch sei die Nichterreichung der Senkungsziele im Gebäude- und Verkehrssektor nicht so schlimm, wenn man nur mehr Kohlekraftwerke abschaltet. Die wurden vermutlich nur zur CO2-Erzeugung gebaut.

 

Der Chef des DIW, Professor Fratzscher, bezeichnete höchst selbst die Energiewende  als „Experiment“(1). Seine Subalternen wollen aus einem laufenden Experiment heraus konkrete Entscheidungen für die Zukunft zimmern.

Kein Institut, außer dem DIW, kann davon leben, sich beim Thema Energie ausschließlich mit dem Kohleausstieg zu beschäftigen. Die Antwort auf die Frage, woher das Geld für diesen „Wochenbericht“ kommt, den man angesichts der flachen Qualität nicht mal als Gefälligkeitsgutachten bezeichnen kann, ist naheliegend.

Inzwischen schlägt die EU neue „Klimaziele“ für 2030 vor. 45 statt 40 Prozent sollten nun eingespart werden. Damit dürfte der nächste DIW-Wochenbericht zum noch schnelleren, ehrgeizigeren, entschlossenerem,  mutigeren, progressiveren Kohleausstieg nicht lange auf sich warten lassen. Mit dem zu erwartendem Fazit: Problemlos möglich, wenn nur die Politik endlich schnell, ehrgeizig, entschlossen, mutig und progressiv handeln würde.

Die alles entscheidende Berechnung bleibt das DIW in seinen Modellrechnungen ohnehin schuldig: Wie viel Grad globale Erwärmung werden durch die angepeilte Emissionssenkung vermieden?

1)Marcel Fratzscher „Die Deutschland-Illusion“, S. 96