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Klima: Optimale Betriebstemperatur *

Im Jahre des Herrn 1678 legten die Bewohner von Fiesch VS gegenüber dem Papst Innozenz XI. ein Gelübde ab: Sie wollten fortan tugendhaft leben und beten, damit der Aletschgletscher nicht mehr weiterwachsen möge. Ob Gott die Gebete erhörte, ist eine Glaubensfrage, jedenfalls schrumpft der Gletscher seit dem Ende der sogenannten Kleinen Eiszeit (zirka 1850). Heute ist es wieder etwa so warm wie im frühen Mittelalter.

Deshalb kehrten die Fiescher 2012 ihre Bitte an den Papst offiziell um. Seither beten die Walliser, damit der Aletschgletscher wieder wächst.

Was ist die ideale Temperatur? Was bedeutet eine Erwärmung der Erde um zwei oder auch vier Grad, wie es der Weltklimarat bis Ende dieses Jahrhunderts prognostiziert? Die Antwort lautet: Für die Schweiz und die meisten Industrieländer wären die Folgen überwiegend positiv. Das behauptet nicht irgendein Verschwörungstheoretiker. Es ist vielmehr das Fazit einer sehr umfangreichen, bisher kaum beachteten Studie des Internationalen Währungsfond (IWF) im «World Economic Outlook 2017».

Empirisch haben die IWF-Forscher die Zusammenhänge zwischen Wirtschaftsleistung und Durchschnittstemperatur sowie die Auswirkungen von Temperatur- und Niederschlagsänderungen auf das kurz- und mittelfristige Bruttoinlandprodukt analysiert. Erfasst wurden weit über 100 000 Daten aus insgesamt 189 Ländern. Eine der Schlussfolgerungen: Die Produktivität hängt stark von der durchschnittlichen Temperatur ab.

Die ökomonomisch optimale Betriebstemperatur für den Menschen liegt zwischen dreizehn und fünfzehn Grad. Darunter und darüber sinkt im statistischen Mittel der Wohlstand. Die Industrieländer liegen mehrheitlich einige Grad unter diesem Optimum, nämlich im Schnitt bei elf Grad. Ein paar Grad mehr würden insgesamt – nicht nur in Bezug auf die Produktivität – eine eher positive Wirkung zeitigen.

Bessere Gesundheit:

In den kalten Jahreszeiten sterben etwa 20 Prozent mehr Menschen an Infektionskrankheiten als in den heissen. Weltweit fordert die Grippe pro Jahr bis zu 500 000 Opfer. Auch eine Hitzewelle kann zwar zu einer erhöhten Mortalität führen, doch in den kalten Monaten sterben selbst in Südeuropa wesentlich mehr Menschen an Herz-Kreislauf-Erkrankungen als im Sommer.

Höhere Erträge bei der Landwirtschaft:

Der CO2-Gehalt in der Luft wirkt bei vielen Pflanzen als Dünger; längere Vegetationsperioden und höhere Temperaturen wirken sich im Schnitt positiv aus.

Weniger Heizbedarf:

Die Ausgaben für Brennstoffimporte sinken.

Erleichterungen im Strassen- und Flugverkehr:

Weniger Schnee und Eis bedeuten auch weniger Unfälle, neue Schiffsrouten über die Arktis verkürzen Wege.

Steigende Produktivität:

Vor allem Arbeiten im Freien lassen sich bei angenehmen Temperaturen besser erledigen.

Zwar hätte eine Erwärmung auch negative Effekte. So könnte ein prognostizierter Anstieg des Meeresspiegels um 0,6 Meter die Küstenbewohner vor gewaltige Herausforderungen stellen. Mögliche Wetterextreme – starke Regen wie Dürre – würden sich negativ auf die Landwirtschaft auswirken und könnten Waldbrände begünstigen. Hitzeperioden könnten zu Mehrkosten für Klimaanlagen führen. Doch selbst bei Berücksichtigung all dieser Faktoren wäre die Bilanz gemäss der IWF-Studie aus ökonomischer Sicht positiv.

Anders sieht es für die Schwellen- und Entwicklungsländer aus, wo die meisten Menschen bei einer durchschnittlichen Jahrestemperatur von 25 Grad leben. Ein weiterer Anstieg könnte hier schlechte bis katastrophale Auswirkungen haben. Allerdings nicht in jedem Fall. Das tropische Singapur beispielsweise, wo im Jahresschnitt 26 Grad gemessen werden, weist nach Japan eine der weltweit höchsten Lebenserwartungen aus. Aber die Bewohner in den meisten anderen Regionen dieser Klimazone sind arm. Für sie bringt die Klimaerwärmung Nachteile.

Nach den Berechnungen des IWF würde in den Industrieländern mit jedem Grad Temperaturanstieg die Wirtschaftsleistung mit einer Zeitverzögerung von sieben Jahren um rund 0,5 Prozent steigen. Die Schwellen- und Entwicklungsländer dagegen würden im Mittel zwischen 0,5 und 1,5 Prozent verlieren. In absoluten Zahlen ergibt das zwar Milliardenbeträge. Wenn man aber berücksichtigt, dass sich diese prognostizierten Gewinne oder Verluste bis ins Jahr 2100 über 82 Jahre verteilen, kommt man auf einen Wert von jährlich unter 0,1 Prozent – ein Grösse, die in einem kaum mehr messbaren statistischen Streubereich liegt.

Schwer lösbares Dilemma

Das wirtschaftliche Wachstum ist und bleibt der entscheidende Faktor für die Lebenserwartung und Lebensqualität in den Schwellen- und Entwicklungsländern, wie das Beispiel Singapur zeigt; die Klimaerwärmung hat darauf einen marginalen Einfluss. Wachstum führt aber unweigerlich zu einem erhöhten Energiebedarf. Fahrzeuge, Spitäler, Fabriken, Computer, Eisenbahnen oder TV-Geräte funktionieren nicht ohne Treibstoff oder Strom. Und es ist auch klar, dass arme Länder scharf rechnen und stets die preisgünstige Energie wählen. Und das sind immer noch Kohle und Erdöl. Umweltschutz muss man sich erst leisten können.

Geht man davon aus, dass der Mensch tatsächlich in der Lage ist, die Temperatur auf der Erde zu beeinflussen, stehen wir vor einem fast unlösbaren Dilemma. Wenn es das Ziel ist, möglichst vielen Menschen ein möglichst sorgenfreies und langes Leben zu gewähren, darf man ihnen den Zugang zu günstiger Energie nicht verwehren. Dies hat aber eine Zunahme von Treibhausgasen wie CO2 zur Folge. Einige Schwellenländer suchen den Ausweg mit eigener Kraft in der weitgehend CO2-freien und relativ günstigen Kernenergie, andere setzen auf Transferzahlungen aus dem Norden.

China hat dieses Jahr sein 39. Kernkraftwerk (4,7 Jahre Bauzeit) in Betrieb genommen, neunzehn weitere Meiler befinden sich zurzeit im Bau. Bis 2030 will das Reich der Mitte über hundert Atomkraftwerke (mit insgesamt 130 GW Leistung) in Betrieb haben. In Indien sind zwanzig neue Kernreaktoren geplant, sechs davon befinden sich im Bau. Die Deutschen und die Schweizer motten derweil ihre Kernreaktoren ein. Sie setzen, wie ihre Urahnen im Mittelalter, auf Sonne, Wind und Biomasse – und hoffen darauf, dereinst eine Technologie zu finden, mit der sich der unstete Flatterstrom in nützlichen Mengen speichern lässt.

Es würde sicher nichts schaden, wenn der Papst dieses physikalische Wunder in seine Gebete

für den Aletschgletscher mit einschliesst.

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)* Anmerkung der EIKE-Redaktion :  Dieser Artikel ist zuerst erschienen in WELTWOCHE Zürich : Optimale Betriebstemperatur |

Die Weltwoche, Ausgabe 49 (2018) | 5. Dezember 2018

http://www.weltwoche.ch/

EIKE dankt der Redaktion der WELTWOCHE und dem Autor Alex Baur für die Gestattung des ungekürzten Nachdrucks.

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