Die Schnellen Brüter im Kommen?

von Dr. Willy Marth
Das russische zivile Nuklearprogramm ist beeindruckend. Neben 36 „konventionellen“ Kernkraftwerken (zumeist auf Druckwasserbasis) leistet sich Russland auch eine stattliche Flotte an sogenannten „fortgeschrittenen“ Kernkraftwerken, welche zum Typus der „Schnellen Brüter“ gehören. Aufbauend auf einem halben Dutzend kleinerer Versuchskraftwerke bis zu 350 MW Leistung betreibt man im Ural, nahe der Stadt Beloyarsk, seit nunmehr 30 Jahren das Brüterkraftwerk BN-600 mit einer Leistung von 600 Megawatt elektrisch – durchaus erfolgreich und ohne besondere Störungen.

Seit August 2016 ist an benachbarter Stelle der noch leistungsstärkere Brüter BN-800 (entspr. 800 MWe) hinzu gekommen, der inzwischen unter Volllast betrieben wird. Aber das ist noch nicht das Ende der russischen Brüterambitionen. Ein weiteres Kraftwerk, der BN-1200 (also 1200 MWe) ist in der Planung und der BN-1600 soll demnächst folgen und mit 1600 MWe zu den leistungsstärksten Kernkraftwerken der Welt zählen.

Vor dem Hintergrund, dass im Westen (und insbesondere in Deutschland) die Brüterentwicklung, zumeist aus politischen Gründen, beendet wurde, ist das russische Voranschreiten durchaus erstaunlich. Vor allem auch deswegen, weil ein Brüterkraftwerk etwa 10 bis 20 Prozent höhere Baukosten verursacht als ein Leichtwasserkraftwerk vergleichbarer Größe.

Der russische Schnellbrüter BN-800

Der Brüter:  Alleskönner und Allesfresser

Die besagten Mehrkosten rentieren sich letztlich, weil der Schnelle Brüter vielfältiger einsetzbar ist als konventionelle Kernkraftwerke.

1. Stromerzeugung:
Beim Brüter wird der elektrische Strom in gleicher Weise erzeugt wie bei den konventionellen Leichtwasserkernkraftwerken: eine Turbine wird mit ca. 500 Grad heißem Wasserdampf angetrieben und der damit gekoppelte Generator erzeugt den Strom.

2. Nutzung des abgereicherten Urans:
Da der Brüter mit schnellen Neutronen betrieben wird, kann er (aus kernphysikalischen Gründen) abgereichertes Natururan des Isotops 238 zur Umwandlung in spaltbares Plutonium nutzen. Dieses Uran 238 gibt es auf Abraumhalden zuhauf und fast kostenlos. Es ist ein Abfallprodukt bei der Urananreicherung für die konventionellen Reaktoren. Damit erhöhen sich die strategischen nuklearen Uranvorräte fast um einen Faktor von 100 und die bergmännische Gewinnung von Natururan unter Strahlenbelastung entfällt.

3. Verbrennung von Bombenplutonium:
Im Zuge der West-Ost-Abrüstungsverhandlungen wurden beidseitig eine Vielzahl von Atombomben „ausgemustert“. Der Schnelle Brüter ist in der Lage, dieses „Altplutonium“, dessen Isotopenvektor sich durch interne Bestrahlung erheblich verändert hat, im Reaktorkern zu „knacken“ und daraus Energie zu erzeugen. Somit entsteht letztlich das Edelprodukt Strom, während bei Nichtnutzung der Brütertechnologie nur erhebliche Bewachungskosten für das Pu anfallen würden.

4. Verbrennung langlebiger Transuran-Abfälle:
Beim Betrieb konventioneller Reaktoren entstehen bekanntlich radioaktive Alphastrahler mit der Ordnungszahl über 92. Die Abfälle – i. w. Neptunium, Americium, Curium, Berkelium und Californinum – sind für den Großteil der Hitze- und Strahlenentwicklung im abgebrannten Kernbrennstoff über einen Zeitraum von bis zu 100.000 Jahren verantwortlich.

Auch diese Aktiniden können in Spezialbrennelementen im Schnellen Brüter gespalten werden. Die entstehenden Spalttrümmer haben in der Regel nur noch eine Halbwertszeit von einigen hundert Jahren und erleichtern damit die Entsorgung dieser Abfallkategorie enorm. Forschungen zu diesem Thema werden überall auf der Welt betrieben; in Deutschland wurden sie allerdings seit der Energiewende drastisch zuück gefahren. Russland beabsichtigt mit seinen beschriebenen Brütern der BN-Klasse alle seine bislang generierten Aktinidenabfälle zu verbrennen und diese Technologie später auch im Westen zu verkaufen.

Einige technische Merkmale des Brüters

Charakteristisch für den Brutreaktor ist die Verwendung schneller Neutronen. Nur sie ermöglichen den Prozess des Brennstoffbrütens vom Uran 238 zum Plutonium. Damit verbietet sich auch die Verwendung von Wasser als Kühlmittel, denn die Wasserstoffatome würden die schnell fliegenden Neutronen schon nach wenigen Stößen abbremsen, also moderieren. Das Kühlmittel der Wahl ist deshalb beim Schnellen Brüter das (atomar leichte) Flüssigmetall Natrium. Es ist allerdings mit Vorsicht zu handhaben, denn beim Zutritt von Luft oder Wasser – im Falle eines Lecks an den Rohrleitungen – fängt Natrium an zu brennen.

Aber die Vorteile von Natrium überwiegen seine Nachteile bei weitem. So behält dieses Metall seinen flüssigen Aggregatszustand in dem weiten Bereich zwischen 100 und 1000 Grad Celsius bei und kann bei 500 Grad sicher betrieben werden. Des weiteren leitet es die Wärme hervorragend ab – viel besser als Wasser bzw. Dampf – sodass sich Temperaturspitzen im Kühlsystem kaum aufbauen können. Und es muss nicht (wie das Wasserdampfsystem beim LWR) unter mehr als hundert Atmosphärendruck gesetzt werden. Der Reaktortank beim Brüter ist kein dicker Stahlbehälter, sondern gleicht eher einem „Fass“, in dem sich das Natrium nahezu drucklos bewegt.

Sicherheitstechnisch besonders vorteilhaft ist der Umstand, dass man mit Natrium (z. B. beim Ausfall der Pumpen) die Wärme passiv, via Naturumlauf, abführen kann. Bei gewissen Notsituationen ist also der Eingriff des Betriebspersonals überhaupt nicht erforderlich, sondern der Reaktor geht selbsttätig in den sicheren Zustand über.

Historisches zum SNR 300

Das deutsche Brüterkraftwerk SNR 300 wurde 1972 vom damaligen Bundeskanzler Willy Brandt auf den Weg gebracht. Seine Begründung dafür ist heute noch gültig: Der Schnelle Brüter soll das in den Leichtwasserreaktoren erzeugte Abfallprodukt Plutonium sinnvoll wiederverwenden. Zudem soll der Brüter die knappen Uranvorräte wirtschaftlich nutzen. Zur Realisierung wurde das damalige Kernforschungszentrum Karlsruhe mit der Beistellung der F+E-Leistungen beauftragt, Interatom/Siemens sollte die Anlage in Kalkar errichten, Alkem die Pu-Brennstäbe beistellen und RWE den Brüter betreiben. In Holland und Belgien konnten dafür Kooperationspartner gewonnen werden. Nach vielen Widerständen (zumeist politischer Art) war die Anlage unter der Kanzlerschaft Helmut Kohl im Jahr 1985 fertiggestellt.

Just zu diesem Zeitpunkt wurde der SPD-Genosse Johannes Rau zum Ministerpräsidenten des Sitzlandes Nordrhein-Westfalen gewählt. Er beschloss die „Kohle-Vorrang-Politik“ und verkündete offen, dass NRW notfalls so lange gegen den Brüter prozessieren wird, bis dessen sanfter Tod eingetreten ist. Da NRW für die Genehmigung de SNR 300 zuständig war, konnte er dies in die Tat umsetzen. Die anschließenden Prozesse gingen bis vor das Bundesverfassungsgericht; die für den Betreiber positiven Urteile konnten allerdings nicht realisiert werden.

Mittlerweile eröffnete Rau den 50 Quadratkilometer großen Braunkohletagebau Garzweiler II. Für die Subventionierung der Steinkohle wurden (via „Kohlepfennig“) insgesamt mehr als – umgerechnet – 150 Milliarden Euro aufgebracht. Demgegenüber hat der SNR 300 dem deutschen Steuerzahler insgesamt 2 Milliarden Euro gekostet.

Als absehbar war, dass Rau und seine Genossen der Inbetriebnahme des SNR 300 nicht mehr zustimmen würden, beschloss die Bundesregierung das Projekt zu beenden. In der Presserklärung des Forschungsministers Heinz Riesenhuber vom 21. März 1991 wird knapp vermerkt: „Die Verantwortung für das Ende von Kalkar liegt eindeutig beim Land Nordrhein-Westfalen“.

Vier Jahre später wurde das Brüterkernkraftwerk Kalkar samt Gelände für 5 Millionen DM an einen holländischen Unternehmer verkauft, der es zu einem Rummelplatz á la Disneyland umbaute. Der Kühlturm wird seitdem für Kletterübungen benutzt.

Der bemalte Kühlturm des SNR 300 in Kalkar als Klettergerüst
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10 Kommentare

  1. Liebe Community,

    Als proatom-energie Verfechter lese ich aus Quellen verschiedenster Richtung, sowohl pro als auch contra Atomstrom Portalen.

    Nun hat mich ein Artikel über schnelle Brüter auf der Seite von contratom neugierig gemacht hier etwas nachzufragen, was dort doch widersprüchlich zu dieser Seite dargestellt wird.

    Konkret steht dort folgendes:

    “ Ein Leck in einem der Natriumkreisläufe kann also nicht nur zur Überhitzung des Reaktors führen, sondern auch zu gefährlichen Natriumbränden, die sich im einzigen Deutschen Brutreaktor Kalkar bereits im Probebetrieb ereigneten.“

    Hier steht, dass im Falle es einer kühl Unterversorgung ohne Zutun alles abgesichert wird.

    Kann mir jemand erklären wie sowas ohne Zutun passiert? Dazu steht in keinem Artikel etwas.

    Danke für die Aufklärung.

  2. Sehr geehrter Herr Dr. Marth,
    Sie schreiben:

    Der Schnelle Brüter ist in der Lage, dieses „Altplutonium“, dessen Isotopenvektor sich durch interne Bestrahlung erheblich verändert hat, im Reaktorkern zu „knacken“ und daraus Energie zu erzeugen.

    Was meinen sie damit. Der Neutonenfluß von waffenfähigem Pu mit der Zusammensetzung 94 % Pu239 und 6% Pu 240 beträgt 3E+5 n/s. Der Wirkungsquerschnitt für Neutroneneinfang beträgt etwa 1,5 barn (Pu240). Wir soll damit der Pu-Vektor wesentlich verändert werden?
    Im übrigen bin ich auch heute noch der Meinung, ein Brüter mit Heliumkühlung wäre die bessere alternative zum natriumgekühlten Brüter gewesen.

  3. Danke für denn Artikel. Was ich an EIKE sehr, sehr schätze ist es, andere Blickweisen vermittelt zu bekommen, was für die Meinungsbildung Gold wert ist, weil so anregend.

    Hier noch zwei Fragen:
    1. Wenn der Natriumkreislauf leckt, dann fängt es an der Stelle des Lecks zu brennen, aber was dann? (Was sind die Folgen? Wie schnell breitet sich der Brand aus und welche Emissionen enstehen dabei? Steinernen Häusern brennen anders als „moderne“, wärmegedämmte Neubauten -vielleicht der Dachstuhl vs. ganze Fassade und Dach blitzartig in eine Leuchtfackel )
    2. Werden bei Brüter-Technik auch Stoffe erzeugt, die für Nuklearwaffen genutzt werden können? (Will ich ich nicht bewerten, nur erfahren)

    • 1) Nur wenn H2O dabei ist, entseht H2, und das ist brennbar ( ganz sicher bin ich da nicht, der Chemie-Unterricht liegt zu lange zurück)
      2) Ich habe die Daten für die Pu-Nuklide im thermischen Reaktor. Da enstehen nacheinander alle schweren Pu-Nuklide aus Pu-239 duch n-Einfang. Die Einfangquerschnitte sind für therm. Neutronen 268 barn (Pu-239) und 289 barn (Pu-240). Reaktorplutonium aus thermischen Reaktor eignet sich nicht für den Bombenbau, denn nur jedes zweite Pu-Nuklid ist spaltbar (Pu-239, Pu-241, Pu-243). Die Daten für den schnellen Brüter mit ganz anderem Neutronenspektrum habe ich nicht, das steht in der Karlsruher Nuklidtafel nicht drin.

      • Die Sache mit dem Bombenbau aus Pu aus LWRs geht zumindest mit den Abbränden, die in den 70iger Jahren erreicht wurden. Die Amerikaner haben unter Carter einen solchen unterirdischen Versuch gemacht, Allerdings wurden die entsprechenden Daten zu dieser Explosion nie veröffentlicht. Um mit LWR-Pu eine Bombe zu bauen, bedarf es allerdings einer extrem hochentwickelten Sprengtechnik mit konventionellen Sprengstoff.

      • Vielen Dank, Lutz Niemann für die Antworten. Der BN-600 in Belojarsk hat lt. Wikipedia mind. schon zwei natriumleck-bedingte Brände überstanden – INES 1 eingestuft. Heiss zumindest: Manche Störfälle sind beherrschbar.

  4. Rußland verwirklicht den vollständigen Brennstoffkreislauf und ist damit das fortschrittlchste Land der Welt. Deutschland steigt aus der Stromversorgung aus, erst Kernenergie, dann wohl noch Kohle. Dann kommt das von der deutschen Politik gewünschte solare Zeitalter. Es werden dann vielleicht noch 5 Millionen Menschen in Deutschland ernährt werden können. Es bleibt das Rätsel der heutigen Politik in Berlin, auf welche Weise der Rückgang der Bevölkerung erreicht werden soll. Will man an historische Vorbilder anknüpfen?

      • Na ja Herr Hausmann, das eine ist das Spiegelbild des anderen. In der Diktatur können die Bürger noch immer den staatlichen Zwang als Entschuldigung für die kollektiven Vergehen anführen; in der Demokratie geht das nicht mehr! Deutschland hat die Politiker, die es wählt….

    • Das Schlimmste (und Unverständliche) daran für mich ist: Die Deutschen schreien auch noch ganz laut „HURRA!“ und betrachten die Klimalügner und die Energiewender als „Helden“, die das Land in die Zukunft führen. Na ja, teilweise kann ich es nachvollziehen, denn es ist für die Bevölkerung faktisch unmöglich, die ganzen Lügen zu durchschauen, und die grün-linke Journaille hat es perfekt geschafft, die Mehrheit erfolgreich zu indoktrinieren.

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