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Braunkohlestrom statt Windstrom – zum Energiepolitischen Manifest II (hier Teil 1)

von Günter Keil

Braunkohlestrom statt Windstrom

Der große Netzausbau mit mehreren neuen Nord-Süd-Trassen ist nach den unveränderten Plänen der Regierung der entscheidende Schritt zur Verwirklichung der Energiewende. Diese Leitungen sollen den im Norden erzeugten, dort aber leider gar nicht benötigten Windstrom nach Süddeutschland bringen, wo mit jedem abgeschalteten Kernkraftwerk die Sicherheit der Stromversorgung immer prekärer wird.

Es scheint sich niemand darüber Gedanken gemacht zu haben, ob der norddeutsche Windstrom überhaupt dafür geeignet ist, der Industrie und den Verbrauchern in Süddeutschland zuverlässig, ausreichend und bedarfsgerecht elektrische Energie zu liefern – von den Kosten einmal ganz abgesehen.

Es muss aber den Netzplanern bereits frühzeitig gedämmert haben, dass das niemals funktionieren kann. Dazu genügt ein Blick auf die physikalisch bedingte, vollkommen wetterabhängige und wild schwankende Leistungsabgabe, wie sie in allen Windstromerzeugungs-Diagrammen für jedes Jahr zu sehen sind. Extreme Strom-Überproduktion bei Starkwind, die man mit „negativen Preisen“ als Zugabe verzweifelt in Nachbarländer exportiert, wechselt mit Flautentälern ab, in denen alle Windräder Deutschlands zusammen nicht einmal ein Prozent ihrer Gesamtleistung liefern – nicht selten für zwei oder gar drei Wochen. Eine normale Reaktion wäre es gewesen, wenn diese Pläne anschließend im Papierkorb gelandet wären. Aber wir sind im Lande der Ideologen, die sich von der Physik nicht beeindrucken lassen. Also wurde der Bau dieser Trassen beschlossen.

Doch durch einen Blick auf die Netz-Landkarte scheinen die Fachleute beizeiten einen Ausweg aus dem Dilemma gesehen zu haben: Bereits bei der ersten Planung wurde dafür gesorgt, dass die Übertragung von Strom aus den Braunkohlerevieren nach Süddeutschland durch neue Leitungen, insbesondere aber durch die Verstärkung bestehender Trassen deutlich verbessert wird.

Als dann 2011 der Kernkraftausstieg beschlossen wurde, war es klar, dass diese Maßnahmen bei Weitem nicht ausreichen würden, um die Stromversorgung in Süddeutschland sicherzustellen. Den unbrauchbaren Windstrom ignorierte man erst einmal konsequent.

Die einzige Möglichkeit, die süddeutschen Kernkraftwerke zu ersetzen, stellten allein die Großkraftwerke in den drei Braunkohlerevieren dar  – und dafür benötigte man nicht nur stärkere, sondern auch neue Stromtrassen, wie es auch die Regierung wollte. Es gab jedoch ein politisches Problem: Das Eingeständnis dieser Absichten hätte die offizielle Begründung der ganzen Energiewende ad absurdum geführt. Der neue Leitungsausbau musste unbedingt in das Schema der Erneuerbaren Energien als zukünftige Hauptversorgung mit Strom passen. Das Hauptargument, mit dem die Regierung deshalb von Anfang an die Leitungs-Neubauvorhaben rechtfertigte, war und ist der sogenannte Klimaschutz, der angeblich vor allem durch die Stromerzeugung mit Windturbinen sichergestellt wird.

Das Ergebnis war das Bundesbedarfsplangesetz BBPlG, inzwischen mehrfach geändert, dessen politische Zielsetzung jedoch beibehalten wurde. Die Netzplaner scherten sich jedoch nicht um den Windstrom und überlegten nur, wie mit neuen Trassen der Süden sicher versorgt werden konnte. Die politisch begründeten und auf Windstrom basierenden Netzausbauziele wurden zunächst kaum beachtet: Von der windreichen Küste bis nach Süddeutschland verlief in dieser Planung nur die Mitteltrasse 4. Gleiches war ursprünglich auch für die Westtrasse geplant, aber die Anbindung an die Küste wurde durchaus konsequent für „nicht  erforderlich“ gehalten. Dafür ging sie richtigerweise nahe am rheinischen Braunkohlerevier und dessen Großkraftwerken vorbei. Bei der Osttrasse, die nach Bayern laufen sollte, waren die Netzplaner noch konsequenter: Sie begann erst mitten in Ostdeutschland bei Bad Lauchstädt im Leipziger Braunkohlenrevier – von einer Anbindung an irgendwelche Windparks im Norden mit unnötigen, teuren Leitungen war gar nicht erst die Rede.

Es war eine solide, von Fachleuten ausgearbeitete Lösung nach dem einzig sinnvollen Motto: Wegfallende Grundlast-Stromerzeugung aus Kernkraftwerken kann und muss man durch eine andere Grundlastkapazität ersetzen – und dafür gibt es in Deutschland die Braunkohlekraftwerke und sonst nichts. Also schließen wir sie mit neuen Trassen an.

Die Regierung merkte erst einmal nichts.

Der mit dieser Planung dokumentierte Verzicht auf die Klimaschutz-Fassade rächte sich jedoch, als die „Gegenwind“-Bürgerinitiativen in Ostbayern die Täuschung bemerkten. Die Täuschung der Öffentlichkeit über den wahren Zweck der neuen Trassen wurde sogar vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen thematisiert. In dem ARD-Magazin Monitor vom 20.2.2014 mit dem Titel „Die Lüge vom Netzausbau: Stromtrassen für die Kohlewirtschaft?“ wurde Tacheles geredet. Monitor-Kommentar: „Leitungen für Kohlestrom statt für Windstrom? Klingt absurd; ein Blick auf die Landkarte zeigt tatsächlich: Die Osttrasse beginnt jetzt in den Mitteldeutschen Kohlerevieren, die HGÜ-Westtrasse nahe am Rheinischen Braunkohlerevier.“

Und Prof. Jarass, Hochschule RheinMain, klagte: „Damit wird die Grundidee der Energiewende zerstört.“

Schlußsatz der Sendung: „In Bayern marschieren sie wieder, diesmal in Pegnitz. Hier geht es – so scheint es uns – nicht nur um die Höhe von Strommasten oder die Führung von Trassen; hier geht es um die Glaubwürdigkeit der ganzen deutschen Energiewende.“

Die Anbindung der Braunkohlereviere wollte die Regierung natürlich nicht zugeben, obwohl es jeder auf den Plänen sehen konnte.  Sie hoffte anscheinend, mit der angeblich drohenden Klimakatastrophe und dem als  Gegenmittel hingestellten deutschen Windkraftstrom die Sorgen der Anrainer zu besänftigen und ihren Widerstand zu überwinden.

Aber man hatte die Bürger unterschätzt.

Die ostbayerischen Bürgerinitiativen hatten jetzt ein unschlagbares Argument, der Widerstand nahm weiter zu und die bayerische Staatsregierung kapitulierte: Sie lehnte die Trassenführung ab und forderte, die Leitung durch Baden-Württemberg zu führen – was wiederum der grün-roten Landesregierung nicht gefiel.

Es half auch nicht mehr, dass die Netzfachleute, die es ja nur gut gemeint hatten, unter dem Druck der Politik die Osttrasse auf ihrer Karte von Bad Lauchstädt etwas nach Norden verlängerten, wobei unklar bleibt, wie von dort dann irgendein Windstrom eingesammelt werden soll.

In der Zwischenzeit haben die Trassengegner aus allen betroffenen Bundesländern erreicht, dass ihnen Minister Gabriel den grundsätzlichen „Vorrang des Erdkabels“ zusicherte, um sie zu beschwichtigen. Auch das wird ein großer Flop, aber das ist wieder ein anderes Kapitel aus dem Märchenbuch der Energiewende.

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